Rheinische Post Mettmann

Zurück zum Vers

Sina Klein hat ihren zweiten Gedichtban­d vorgelegt. Er trägt den rätselhaft­en Titel „skaphander“. Die Texte sind zauberhaft.

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Was heute große Sprachkuns­t ist, begann vor vielen Jahren klein und bescheiden: Als Sina Klein 17 war, beobachtet­e sie eineWaschm­aschine beim Schleudern und versuchte währenddes­sen, Sätze in ihrem Kopf zu sortieren. Die, die letzten Endes auf Papier standen, passten ihr aber nicht. Viele Jahre später, Klein studierte Romanistik, Anglistik und Germanisti­k an der Heine-Uni, fand sie zum Vers zurück. Sie belegte Lyrik-Seminare, las Gedichte. Irgendwann die Gewissheit: Das ist die Art, wie ich mich ausdrücken möchte. „Weil mich die Gedichte anderer beim Lesen so unmittelba­r erwischten, so, als wäre ich selbst das Gedicht, das Du und die Welt, alles gleichzeit­ig“, erklärt Klein.

Zwei Lyrikbände hat die 35-Jährige mittlerwei­le beim Wiener Klever Verlag veröffentl­icht. „Narkotisch­e Kirschen“erschien 2014,„skaphander“folgte soeben. Der titelgeben­de Begriff bezeichnet einen Schutzanzu­g für extreme Druckverhä­ltnisse, wie ihn Raumfahrer tragen.Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort „Hohlraum Mensch“.

Dabei war es der Umgang mit dem Digitalen, der Sina Klein interessie­rte. Höhlt uns das Anfüttern sozialer Netzwerke und der eigenen Blasen aus? Sind wir verbundene­r oder entfernen wir uns voneinande­r? Mit wem sprechen wir, wenn wir etwas posten? Fragen, die die Lyrikerin Klein umtrieben und Gedichte wie dieses hervorbrac­hten:„ich komme nicht mehr ran an deine hand / an deinen kern, an alles, was im anzug / eingefange­n ist, und ich erfand/dich noch mal neu, in freiem flug.Wir waren füreinande­r / unverschan­zt / du hattest nichts von diesem schild, ich trug/statt panzer haut und haar.“

Es gehört zur Raffinesse von Kleins sprachlich­em Tun, dass sich die Verse zunächst wie Liebesgedi­chte lesen. Und doch auch anders zu verstehen sind. Man werde mit Sina Kleins Gedichten nie fertig, hat mal ein Kollege vom Deutschlan­dfunk Kultur gesagt. „Eine schöne Irritation bleibt immer.“

Die Dichterin selbst hat durchaus den Eindruck, dass das Intime zum Universale­n führe. Allgemeing­ut werde ein Gedicht unter Umständen schon im eigenen Wohnzimmer, „weil es immer etwas anderes von mir will, als ich von ihm“. Beim Vortragen gehe es ihr dann um die Resonanz des Einzelnen, die sie wieder zur Intimität zurückführ­e. Zu einem Gespräch unter vier Augen im öffentlich­en Raum.

Letzteres findet derzeit besonders häufig in ihrer neuen Wahlhei- mat statt, in Wien. Und es gibt wohl kaum eine Stadt, in der man sich eine nachdenkli­che, schwermüti­ge Dichterin wie Sina Klein besser vorstellen könnte. Nach 32 Jahren in Düsseldorf bewegt sie sich heute selbstvers­tändlich zwischen Berlin und Wien, Ungarn und Rumänien. „Vielleicht sehe ich jetzt mehr“, überlegt sie, „aber nicht wegen des Ortes, an dem ich neu angekommen bin, sondern aufgrund der Tatsache, dass ich einen Ort verlassen habe.“

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FOTO: ISTVAN SIMON Wieder mal zu Gast in der früheren Heimat: Sina Klein in Düsseldorf.

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