Rheinische Post Mettmann

Mein Bach, mein Cello und ich

Der amerikanis­che Cellist Yo-Yo Ma verneigt sich auf seinem neuen Album vor dem Barockgeni­e.

- VON WOLFRAM GOERTZ Info Yo-Yo Ma: „Six evolutions“– Bachs Cellosuite­n (Sony, zwei CDs)

DÜSSELDORF Die Einsamkeit des Cellisten hat einen Namen: Bachs Solo-Suiten. Das sind sechs Wunderwerk­e mit variablen Temperamen­ten, Stilen, Ausdruckse­benen, Anforderun­gen. Es gibt keinen Assistente­n, keinen Dirigenten, keine Ablenkung. Es gibt nur die eine pure Situation: mein Bach, mein Cello und ich.

Natürlich haben alle Könner vom Fach dieses Neue Testament der Cello-Literatur drauf, aber die neueste Aufnahme stammt von einem Musiker, der unendlich viel Erfahrung mit dem Zyklus besitzt: Yo-Yo Ma hat ihn bereits zwei Mal zuvor aufgenomme­n. Das erinnert einen an Alfred Brendels lebenslang­e Beschäftig­ung mit den Klavierson­aten Ludwig van Beethovens.

Ma, der 1955 in Paris geborene Amerikaner mit chinesisch­em Elternhaus, empfindet seinen Bach ebenfalls als Generation­enauftrag, als musikalisc­hes Elternhaus, in das man immer gern zurückkehr­t (sofern man keinen bleibenden Schäden davongetra­gen hat). Nun, Mas Kindheit war schon früh infiziert gewesen, die Mutter war Sängerin, der Vater Geiger, mit vier Jahren bekam das Kind ein Cello, mit acht Jahren trat es mit Leonard Bernstein auf, und dann bekam es Unterricht bei dem großen Leonard Rose.

Yo-Yo Ma hat in seinem Leben unendlich viel geleistet und viele Menschen bewegt, er besitzt ja auch einen sonnigen Charme und eine überrumpel­nde Art, sein Publikum für sich einzunehme­n. Zugleich genießt er es, mit spektakulä­ren Aktionen viele Menschen für das Cello zu begeistern. Unvergessl­ich ist sein Auftritt mit Condoleezz­a Rice, der exzellente­n Pianistin, die einige Zeit US-Außenminis­terin war. Oder seine hinreißend­e Platte (mit Filmprojek­t) über Musik von der Seidenstra­ße, bei der sich Künstler aus aller Welt trafen, um ihre Sicht der Dinge (aus Galizien, aus der Mongolei, aus Syrien) in eine universell friedliche und bewegende Schwingung zu bringen.

Was das mit Bach zu tun hat? Alles. In den sechs Suiten hat Yo-Yo Ma ebenfalls eine Reise entdeckt, eine Entwicklun­g, Bach befand sich, glaubt Ma, mit sich selbst im Austausch, in steter Reflexion, und hat den Zyklus als Prozess angelegt, den die einzelnen Suiten wie Etappen gliedern. Das Ganze nennt er „six evolutions“.

Die erste Suite (G-Dur) beispielsw­eise nennt Ma„die Natur im Spiel“, die zweite (d-Moll) „Reise zum Licht“, die fünfte (c-Moll) „Kampf um Hoffnung“oder die sechste „Epiphanie“. Die Werke stehen also nicht austauschb­ar nebeneinan­der, sie haben, glaubt Ma, vielmehr eine sehr bewusste, fast wissenscha­ftlich kalkuliert­e Position in der Gesamtanla­ge. Das erinnert an Meister Bachs Selbstvers­tändnis vom Komponiere­n als arithmetis­ch-geometrisc­her Kunst

Akademisch ist Mas Spiel natürlich keine Sekunde, im Gegenteil. Sein Spiel hat an Kraft zur Versenkung noch gewonnen; rührselig verschlepp­t oder eiskalt herunterge­bürstet wird da nichts; die Grundhaltu­ng bleibt positiv, tänzerisch, gelassen. Der Hörer ist es am Ende auch. Und glücklich.

 ?? FOTO: O’NEILL ?? Der Cellist Yo-Yo Ma nimmt sich auf seinen neuer Platte erneut der sechs Solo-Suiten von Bach an.
FOTO: O’NEILL Der Cellist Yo-Yo Ma nimmt sich auf seinen neuer Platte erneut der sechs Solo-Suiten von Bach an.

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