Rheinische Post Mettmann

Die Lehren aus Chemnitz

Die politische Debatte beschränkt­e sich auf die Folgen des Primärerei­gnisses.

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Der „Spiegel“macht auf seinem aktuellen Titel mit einem Federstric­h aus ganz Sachsen Naziland. „Sachsen“, steht da als fette Schlagzeil­e, und der Schriftzug wird im Verlauf des Wortes altertümli­cher. Drunter: „Wenn Rechte nach der Macht greifen“.

Kleiner Gegencheck: Könnte man sich nach einem Vorgang wie in Chemnitz eine Schlagzeil­e vorstellen: „Flüchtling­e – wenn Messerstec­her ein Land in Angst versetzen?“Gott sei Dank nicht. Es gäbe mit Recht einen Aufschrei wegen unbotmäßig­er Pauschalis­ierung, Erheben eines Generalver­dachts und des Schürens von Ausländerf­eindlichke­it. Was aber ist dann CHRISTOPH SCHWENNICK­E diese „Spiegel“-Zeile? Genau das. Pauschalis­ierend, einen Generalver­dacht erhebend und ostfeindli­ch. Richtig ist, dass es im Osten des Landes ein reales Problem mit unverhohle­nem Rechtsextr­emismus gibt.

Die Vorgänge von Chemnitz sollten dennoch im Zusammenha­ng gesehen werden und die Relation der Beurteilun­g gewahrt bleiben. Nicht alle aufgewühlt­en Chemnitzer sollten zu Nazis erklärt werden. Dem Naziaufmar­sch voran ging eine brutale Bluttat zweier tatverdäch­tiger Flüchtling­e an drei anderen Besuchern des Chemnitzer Stadtfeste­s. Das war das Primärerei­gnis, die Demonstrat­ion und die Aufmärsche waren das Folgeereig­nis. Eine regelrecht­e Erleichter­ung und eine große Leidenscha­ft waren in der politische­n Debatte nach Chemnitz zu bemerken, sich auf das Folgeereig­nis stürzen zu können, um sich nicht so sehr mit dem Auslöser beschäftig­en zu müssen. Wenn sich in den nächsten Wochen anhand weiter steigender Umfragewer­te für die AfD jemand frage sollte: Wie konnte das passieren? Genauso so konnte das passieren. Musste das passieren.

Christoph Schwennick­e ist Chefredakt­eur des „Cicero“und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperatio­n. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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