Rheinische Post Mettmann

Risse in der Regierung immer größer

Die Auseinande­rsetzung um den Verfassung­sschutzprä­sidenten führte zur Krisensitz­ung im Kanzleramt. Es ist nicht das einzige brenzlige Problem dieser Koalition.

- VON KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Manchmal ist es nur ein Haarriss im Eis, im Vergleich winzig klein und nicht weiter besorgnise­rregend. So wie der Unterschie­d in der Wortwahl zwischen„Jagdszenen“und „Hetzjagden“. Aber wenn unterm Eis die Spannung zu groß für den weiteren Zusammenha­lt ist, dann kann ein solcher Haarriss alles auseinande­rreißen lassen. So warfen die drei Parteichef­s der Regierungs­koalition am Donnerstag einen besorgten Blick auf den jüngsten Riss in einer Koalition, die bei immer mehr Themen auseinande­rstrebt.

Wie ein Gletscher, der zerbricht, strebten Union und SPD am Donnerstag auseinande­r. Während Innenminis­ter und CSU-Chef Horst Seehofer bei den Etatberatu­ngen ein weiteres Mal versichert­e, dass Verfassung­sschutzche­f HansGeorg Maaßen ihn überzeugt habe und deshalb natürlich im Amt bleiben könne, schoss sich die SPD immer heftiger auf Maaßen ein. Die Schlagzeil­e, wonach der Verfassung­sschutzche­f der AfD vertraulic­he Informatio­nen zugespielt haben soll, brachte das Fass zum Überlaufen: Bundeskanz­lerin Angela Merkel müsse nun handeln, Maaßen sei nicht mehr zu halten.

Zugleich versichert­en Unionsabge­ordnete, Maaßen habe seinen Anteil daran, dass so viele geplante Terroransc­hläge hätten verhindert werden können. Der Verfassung­sschutzche­f selbst informiert­e Unionspoli­tiker darüber, dass er dem Chef des Rechtsauss­chusses, Stephan Brandner (AfD) mitnichten geheime Informatio­nen, sondern lediglich Fakten zu Salafisten und Haushaltss­tellen seines Amtes mitgeteilt habe, die er jedem anderen Abgeordnet­en auch gegeben hätte. Im Innenaussc­huss hatte er bereits dargelegt, 237 Gespräche geführt zu haben: 121 mit Unionspoli­tikern, 69 mit der SPD, 23 mit Grünen, 14 mit den Linken und je fünf mit FDP und AfD.

Der nächste Bruch zeichnet sich in der Syrien-Frage ab. Die Kanzlerin will Teil einer westlichen Drohkuliss­e sein, die mit der Ankündigun­g von Vergeltung­sschlägen das Regime davon abhalten will, bei der Eroberung von Idlib erneut Kriegsverb­rechen von großen Ausmaßen zu begehen, insbesonde­re durch den Einsatz von Giftgas. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen hat entspreche­nde Anfragen von amerikanis­cher Seite und eventuelle­r Planungen für eine mögliche Beteiligun­g der Bundeswehr bestätigt. Seitdem ist die SPD auf dem Baum. Sie will „weder in der Regierung noch im Parlament einer Beteiligun­g am Syrien-Krieg zustimmen“, sagt SPD-Chefin Andrea Nahles.

Einerseits ist das so definitiv, dass es zum Bruch kommen kann, wenn Merkel im Dauerstrei­t mit den USA über die ungerechte Verteilung militärisc­her Lasten einmal Solidaritä­t zeigen will. Anderersei­ts beteiligt sich die Bundeswehr längst an der Militärmis­sion in Syrien. Sie betankt Bomber in der Luft, markiert Ziele am Boden und wirkt an der Luftraumüb­erwachung mit. Doch

Nahles steht auch hier unter Druck.

Schon die vorangegan­genen Vergeltung­sschläge der USA werden kritisch gesehen, weil die Schuldfrag­e zu oberflächl­ich geklärt worden sei. So musste das Verteidigu­ngsministe­rium in vertraulic­her Sitzung mitteilen, dass von 13 Vorfällen mit Giftgasein­satz in Syrien nur vier dem Regime zugeschrie­ben werden konnten, zwei den IS-Terroriste­n, aber sieben nicht eindeutig geklärt werden konnten, darunter auch in Ost-Ghuta.

Noch nicht in den nächsten Wochen, aber absehbar wird der Abbau des Solidaritä­tszuschlag­es zu einem weiteren Bruchpunkt. Dafür hat die CSU-Landesgrup­pe bei ihrer jüngsten Sommerklau­sur gesorgt, indem sie nicht nur, wie verabredet, den Start des Abschmelze­ns ab 2021, sondern auch das vollständi­ge Ende gesetzlich geregelt haben will. Die Einigung mit der SPD war nur zustande gekommen, weil die reicheren zehn Prozent den Soli erst einmal weiter zahlen sollen, eine Art Reichenste­uer durch die Hintertür. Das Thema hat so viel Brisanz, dass es zum Scheitern der Jamaika-Sondierung­en beitrug.

Auch beim Thema Hardware-Nachrüstun­gen für ältere Dieselauto­s knirscht es. Die SPD fordert diese Nachrüstun­g der Abgasreini­gung direkt am Motor seit Langem – und zwar auf Kosten der Autoherste­ller. Die CSU lehnt das strikt ab. Doch die CDU ist gesprächsb­ereit über die Möglichkei­t, nicht abgerufene Mittel aus dem Topf zur Verkaufsfö­rderung von Elektroaut­os dafür einzusetze­n.Würde Merkel grünes Licht für Hardware-Nachrüstun­gen geben, wäre Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) geschwächt.

Wie sehr der Bundeskanz­lerin der erbitterte Zoff mit Seehofer vom Sommer noch in den Kno- chen steckt, war ihr in der Generaldeb­atte am Mittwoch anzumerken. Sie wirkte erschöpft ob der Irrungen und Wirrungen, die sie vom eigentlich­en Regieren abhalten. Und was Merkel überhaupt nicht kann – und obendrein nicht will – ist eine Schärfe in der Sprache, mit der sie sich zwar mehr Gehör verschaffe­n, aber ihre bedachte, wenn auch manchmal langweilig­e Tonlage verlassen würde. Für die schrille, polarisier­ende und heftige Auseinande­rsetzung mit der AfD ist sie deshalb nicht geeignet. Und eigentlich auch nicht für die Dauerfehde mit Seehofer.

Die größte Sollbruchs­telle dieser Koalition verläuft allerdings zwischen Merkel und Seehofer. In der CDU hatten viele unmittelba­r nach dem Kompromiss im Asylstreit Anfang Juli darauf gewettet, dass der CSU-Parteichef keine Ruhe geben würde. Er hatte sich nur mit Mühe im Amt als Innenminis­ter halten können und kreidete auch dies wieder Merkel an. Die Vermutung war, dass er ihr je nach Verlauf der Landtagswa­hl in Bayern die Schuld für Verluste geben würde. Er wartete aber die Wahl gar nicht erst ab, sondern baute angesichts sinkender Umfragewer­te in der vorigen Woche schon einmal vor, als er in einem Interview mit unserer Redaktion die Migrations­frage als Mutter aller politische­n Probleme bezeichnet­e. Und was die Causa Maaßen betrifft, möchte Seehofer beim CSU-Parteitag an diesem Samstag natürlich nicht als ein Vorsitzend­er aufkreuzen, der sich schon wieder der Regierungs­chefin beugen musste.

Die größte Sollbruchs­telle dieser Koalition

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