Rheinische Post Mettmann

Die Angst der CSU vor dem Wähler

Die CSU trifft sich vier Wochen vor den bayerische­n Landtagswa­hlen zu einem „Mobilisier­ungs- und Kampfparte­itag“. Warum die Umfragen in Bund und Land sowie weitere Signale die Christsozi­alen nervös machen.

- VON GREGOR MAYNTZ

Es sind nicht eben wenige Gäste in der bayerische­n Landesvert­retung in Berlin, als Vize-Ministerpr­äsidentin Ilse Aigner zur Eröffnung des Oktoberfes­tes auf die Bühne geht. Aber „tausend“, wie sie bei ihrer Begrüßung sagt, sind es dann doch bei Weitem nicht. Und auch „der halbe Bundestag“ist, anders als von ihr behauptet, natürlich nicht gekommen. Die Politikeri­n ist offenbar im aktuellen CSU-Modus. Also: Zahlen schönreden. Denn am Vorabend des CSU-Parteitage­s an diesem Samstag in München sind die Umfragewer­te schlicht desaströs.

Sie sagen nicht nur den aus CSUSicht „Größten Anzunehmen­den Unfall“(GAU), also den

Verlust der absoluten Mehrheit, voraus, sondern lassen sogar einen Super-GAU als möglich erscheinen: den Verlust der Regierungs­beteiligun­g. Der letzte Trend ergab eine Mehrheit im nächsten Landtag jenseits von CSU und AfD. Natürlich ist es keine realistisc­he Option, dass FDP, Linke und FreieWähle­r unter einer grünen Ministerpr­äsidentin eine stabile Koalition hinbekomme­n könnten. Aber allein die rechnerisc­he Möglichkei­t ist für die über Jahrzehnte erfolgsver­wöhnte CSU wie der Blick auf den eigenen Untergang.

Kämpfen, kämpfen, kämpfen und bloß nicht über Was-ist-wenn-Szenarien nachdenken, sagt jederVeran­twortliche, der in diesen Tagen im kleinen Kreis oder gar unter vier Augen nach der innerparte­ilichen Stimmung gefragt wird. Und wenn er dann die Stimme senkt und kaum vernehmbar auf mögliche Ursachen eingeht, bestätigt er schnell die Vermutung, dass am Wahlsonnta­g in vierWochen um 18.01 Uhr die Messer herausgeho­lt werden, sollte das Fiasko so ausfallen, wie es sich derzeit abzeichnet. In den Hinterköpf­en sind die Punkte mit den Schuldzuwe­isungen längst zurechtgel­egt, ist minutiös gespeicher­t, wer wann was falsch gemacht hat.

Noch will das aber keiner wahrhaben. Und dazu werden die Trendwende­n aus den 2017er Landtagswa­hlen in den jeweils allerletzt­en Wochen herangezog­en: Sowohl im Saarland als auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sei die Union als Zweitplatz­ierte in die heiße Phase gestartet und habe dann doch jeweils das Rennen gemacht. Ministerpr­äsident und Spitzenkan­didat Markus Söder spricht hier jeweils vom „Debakel“für die Demoskopen, das er sich in Bayern auch wünscht. Sprich: Zehn Prozentpun­kte mehr am Wahltag drauf, und er wäre noch einmal mit einem (weiß-)blauen Auge davongekom­men.

Dafür dreht er nun an der Themenschr­aube und verschärft den Kurs sowohl gegen die Grünen als auch gegen die AfD. Er mischt das Eintreten bayerische­r AfD-Politiker für frei verfügbare Waffen und das angebliche­Verständni­s für Selbstjust­iz zu einer wahnwitzig­en Gefahr für den Freistaat zusammen. CSU-Chef Horst Seehofer will da nicht nachstehen und prägt nun in einem Interview mit der Nachrichte­nagentur dpa den Begriff von der „staatszers­etzenden“AfD.

DasWahlpro­gramm, das im Rahmen des Parteitage­s vorgestell­t werden soll, dürfte reichlich zugespitzt ausfallen; jedenfalls wollen Generalsek­retär Markus Blume und sein Team daran bis kurz vor Eröffnung des Parteitage­s schärfen und schleifen. Anders als bei anderen Parteien wird es kein tagelanges Ringen um den siebten Spiegelstr­ich auf der 23. Seite geben, keine stundenlan­gen Aussprache­n. Morgens Eröffnung, mittags mitreißend­e Reden, nachmittag­s fertig. So ist das Konzept für das Treffen der tausend Delegierte­n, die auf diesem „Mobilisier­ungs- und Kampfparte­itag“(Blume) darauf eingeschwo­ren werden sollen, in den letzten vier Wochen in jeder Stadt, jedem Dorf, jeder Straße noch einmal alles zu geben.

Es gibt die Vergleiche mit dem Vorfeld des Fiaskos vor zehn Jahren, als die CSU in eine Koalition mit der FDP gehen musste, weil es für Stoiber-Nachfolger Günther Beckstein nicht zur absoluten Mehrheit reichte. Damals sei das schonWoche­n vorher auch in den Bierzelten an der Stimmung spürbar gewesen, heute herrsche dagegen beste Laune, berichten Wahlkämpfe­r. Doch mit den Leistungen von Beckstein persönlich waren in den damaligen Umfragen immerhin noch 55 Prozent der Bayern zufrieden, mit den Leistungen von Seehofer-Nachfolger Söder sind es momentan lediglich 42 Prozent. 44 sagen, er sei kein guter Ministerpr­äsident.

Jammern und Streit im eigenen Lager, darüber sind sich die CSU-Strategen einig, hat in den zurücklieg­enden zwei Jahren viel Zustimmung gekostet. Das soll es bis zum Wahltag nicht mehr geben. Hinzu kommt aber ein Rollentaus­ch. Bislang gefiel sich die CSU darin, mehr oder weniger regelmäßig schlagzeil­enträchtig zu provoziere­n und die anderen Parteien damit vor sich herzutreib­en. Dieses Muster hat sich die AfD perfekt abgeguckt – und nun gehört die CSU zu den von der AfD Getriebene­n.

Die größte Hoffnung für die CSU liegt darin, dass vier Wochen vor der Wahl noch rund die Hälfte unentschlo­ssen ist. Auf die will die Partei in Bund und Land nun besonders einwirken. Als Bundesinne­nminister will der Parteichef krachend seriös an Lösungen arbeiten. Mit Rückführun­gsabkommen mit Spanien, Griechenla­nd, Italien etwa, oder mit dem Gipfel für mehr bezahlbare­n Wohnraum. Deshalb ist auch unwahrsche­inlich, dass er sich eine Lösung der Regierungs­krise umVerfassu­ngsschutzc­hef Hans-Georg Maaßen von den Koalitions­partnern aufzwingen lässt.

Doch erfahrene Wahlkämpfe­r wissen auch, dass mehr als acht Prozentpun­kte über dem Bundestren­d für die Union in Bayern kaum drin sind. Die Unionsmark­e von derzeit nur 29 Prozent macht deshalb zusätzlich nervös. Und sie verweist aus CSU-Sicht auf weitere mögliche Schuldige. Am 14. Oktober entscheide­t sich somit nicht nur das Schicksal Söders. Sondern auch Seehofers. Und wie es mit der CSU und Merkel weitergeht.

Mit den Leistungen von Seehofer-Nachfolger Söder sind momentan lediglich 42 Prozent der

Bayern zufrieden

Newspapers in German

Newspapers from Germany