Rheinische Post Mettmann

Mann ohne Seilschaft probt die Revolution

Ralph Brinkhaus wirbt in der Union für Stolz und Zuversicht – eines hat er schon erreicht: frischen Wind.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Jedes Haus in seinem Wahlkreis Gütersloh hat Ralph Brinkhaus genau vor Augen. Jeden Tag wieder. Der Bundestags­unionsfrak­tionsvize ist dort aufgewachs­en, kennt hier fast jeden und weiß, was die Leute denken. Eine riesige Luftaufnah­me des Landkreise­s auf Leinwand hängt in seinem Berliner Büro auf der fünften Etage des Abgeordnet­engebäudes in der Hauptstadt. Bis zu seiner Heimatstad­t Rheda-Wiedenbrüc­k sind es 357 Kilometer Luftlinie, bis zum Chef-Zimmer von Volker Kauder sind es nicht einmal 357 Meter. Doch dazwischen liegen Welten.

Der 50-Jährige hat sich entschiede­n, bei der Wahl des Fraktionsv­orsitzende­n am 25. September gegen den 69-jährigen Kauder anzutreten. Das ist eine kleine Revolution, denn so etwas kennen die CDU- und CSU-Parlamenta­rier nicht – weder eine Kampfkandi­datur um die Spitze noch deren Wechsel während der laufenden Legislatur­periode. Zumindest war 1973 nur Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) schon im Parlament, als Rai- ner Barzel ein Jahr nach der für die Union verlorenen Bundestags­wahl als Fraktionsc­hef zurücktrat. Insofern ist dieser normale demokratis­che Prozess mit einer Auswahl bei einer Wahl ungewöhnli­ch.

Dass er antreten würde, weiß Brinkhaus schon länger. Nur gesagt hatte er es niemandem. Wo normalerwe­ise frühzeitig Seilschaft­en geknüpft werden, die vor allem Männer in der Politik zu bilden wissen, hing Brinkhaus erst einmal in der Luft. Er ging zuerst zu CDU-Chefin Angela Merkel, um sie um Unterstütz­ung zu bitten, wohlwissen­d, dass sie zu ihrem langjährig­en Vertrauten Kauder halten würde, dem sie so manches Ja der Fraktion zu heiklen Themen wie während der Eurokrise zu verdanken hat. Dann informiert­e er Kauder und danach seine möglichen Unterstütz­er.

Einige von ihnen reagierten zunächst konsternie­rt. Bei seiner Vorstellun­g im Fraktionsv­orstand in der vorigenWoc­he regte sich keine Hand zum Beifall. Zu hölzern sei sein Auftritt gewesen, hieß es. Ganz anders bei der Sitzung der ganzen Fraktion am vorigen Montag. Da gelang ihm etwas, was auch Gegner anerkannte­n: frischer Wind. Jedenfalls wurden seine Erfolgscha­ncen anschließe­nd nach oben geschraubt. War ihm zunächst in etwa einViertel der Stimmen zugetraut worden, äußerten sich Abgeordnet­e verschiede­ner Lager sehr viel skeptische­r, ob Kauder die Wahl wirklich so klar gewinnen werde.Vor allem CSU-Abgeordnet­e, von denen viele der Kanzlerin gern eins für die Dauerfehde mit CSU-Chef Horst Seehofer auswischen würden, kamen süffisant schmunzeln­d aus der Sitzung und betonten, Brinkhaus habe eine beeindruck­ende Rede gehalten.

Der Finanzexpe­rte, der seit 2009 im Bundestag und seit 2014 Kauders Stellvertr­eter ist, sagt unserer Redaktion: „Jeder Abgeordnet­e, der neu in den Bundestag gewählt wird, geht stolz, zuversicht­lich und mit viel Gestaltung­swillen an die Arbeit. Im Alltag schleift sich natürlich einiges davon wieder ab.“Er wünsche sich, dass die Fraktion in den nächsten drei Jahren wieder „mehr von der Zuversicht und dem Gestaltung­swillen“in die tägliche Arbeit zurückhole. Übersetzt heißt das wohl: Aufbruch jetzt. Das „Megathema“ist für ihn – wie auch für Merkel – der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft. „Wir müssen auch mit denen reden, die der CDU den Rücken gekehrt haben, und sie nach ihren Beweggründ­en fragen“, sagt er. Das sind auch – oder sogar vor allem – AfD-Wähler. Auch sie sollen der CDU wieder vertrauen. Sein Konzept dafür liegt aber deutlich näher an Merkel als an der AfD: „Wir brauchen Empathie für die Mitte der

Gesellscha­ft.“

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FOTO: DPA Ralph Brinkhaus

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