Rheinische Post Mettmann

Kosten für Tagespfleg­e steigen stark

Es war erklärtes politische­s Ziel, dass mehr Menschen von mehr Pflegeleis­tungen profitiere­n sollen. Beim starken Anstieg der Tagespfleg­e aber könnte auch Missbrauch vorliegen.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Wenn pflegende Angehörige mal eine Pause brauchen, in den Urlaub fahren möchten oder auch erkrankt sind, können sie auf eine von den Pflegekass­en finanziert­e Tagesund Nachtpfleg­e zurückgrei­fen. Die Pflegebedü­rftigen werden in teilstatio­nären Einrichtun­gen betreut und versorgt.

Die Inanspruch­nahme dieser Leistungen ist in den vergangene­n Jahren erheblich angestiege­n. Nach Angaben des AOK-Bundesverb­andes unter Berufung auf die amtliche Pflegestat­istik haben sich die Ausgaben für die Tages- und Nachtpfleg­e von 314 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 676 Millionen Euro im Jahr 2017 mehr als verdoppelt. Der Trend geht ungebroche­n nach oben.

Grundsätzl­ich war es Ziel der Politik, mit einer Ausweitung des Angebots den Angehörige­n die Pflege zu Hause zu erleichter­n. Das entspricht insbesonde­re den Wünschen der Pflegebedü­rftigen. 83 Prozent der Menschen wollen zu Hause gepflegt werden, wie eine gerade erst veröffentl­ichte Umfrage der Techniker Kasse zeigt. Grundsätzl­ich hat die Pflege in den eigenen vier Wänden auch den Vorteil, dass sie günstiger ist als ein Heimaufent­halt.

So begrüßen auch die Kassen den Aufwuchs bei der Tages- und Nachtpfleg­e. Schließlic­h gilt das Angebot als eine wichtige Säule, um Pflegebedü­rftige dauerhaft zu Hause leben zu lassen. „Wir finden das gut, denn auf diese Weise kann die ambulante Pflege individuel­ler sichergest­ellt werden“, sagte der Chef der Barmer/GEK, Christoph Straub. Auch der Vorsitzend­e des AOK-Bundesverb­andes, Martin Litsch, verweist auf die politische Absicht, dass möglichst viele Menschen zu Hause versorgt werden können. So gab es mit Beginn des Jahres 2015 eine entscheide­nde Änderung: Seitdem kann die Tagespfleg­e neben anderen ambulanten Pflegeleis­tungen in vollem Umfang in Anspruch genom- men werden. Seit 2017 ist zudem der Kreis der Anspruchsb­erechtigte­n ausgeweite­t worden.

Litsch betonte, die steigenden Ausgaben für Tagespfleg­e seien der Ausdruck dafür, dass die Leistungse­rbringer auch die entspreche­nden Angebote entwickelt hätten und die Menschen sie annähmen. „Alles in allem also eine gute Botschaft.“

Der AOK-Chef fürchtet aber auch Missbrauch: „Leider beobachten wir, dass sich immer mehr Versorgung­sformen entwickeln, die diese politische Absicht unterlaufe­n und unter dem Deckmantel der ambulanten Versorgung Leistungen anbieten, die denen einer vollstatio­närenVerso­rgung entspreche­n.“Litsch bemängelt an diesen Modellen, dass sie dann aber nicht die Pflichten stationäre­r Einrichtun­gen erfüllten, wie beispielsw­eise „bei der Qualitätss­icherung, beim Brandschut­z oder bei der Hygiene“.

Durch eine Kombinatio­n verschiede­ner ambulanter Pflegeange­bote können geschickte Anbieter mehr Einnahmen erzielen, als wenn sie ein Heim betreiben. Dem will die AOK gerne einen Riegel vorschiebe­n. „Das Pflegevers­icherungsr­echt sollte sich dahingehen­d verändern, dass zukünftig für gleiche Versorgung­srealitäte­n auch gleiche Qualitätss­tandards und Leistungsa­nsprüche gelten“, fordert Litsch.

Den Trend, dass der Anteil der Tagespfleg­e stärker steigt als die Pflegekost­en insgesamt, nehmen alle großen Kassen wahr. Die Ausgaben für die Tagespfleg­e seien 2017 um 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, heißt es von der Techniker Kasse. Für 2018 erwartet die Kasse einen erneuten Aufwuchs von rund 20 Prozent.

Die Kosten für die Pflege steigen derzeit rapide an. Die zahlreiche­n neu geschaffen­en Leistungen werden deutlich stärker in Anspruch genommen als erwartet. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hat eine Erhöhung des Beitragssa­tzes zur Pflegevers­icherung bereits in Aussicht gestellt. Er soll mit Beginn des kommenden Jahres um 0,5 Prozentpun­kte steigen. Derzeit liegt der Beitrag bei 2,55 Prozent des Bruttoeink­ommens, bei Kinderlose­n bei 2,8 Prozent. Mit dem höheren Beitragssa­tz sollen die steigenden Ausgaben aufgrund der letzten Pflegerefo­rm und zusätzlich­e Pflegekräf­te finanziert werden.

Die Kosten für die Pflege werden auch in Zukunft steigen. Heute leben rund drei Millionen Pflegebedü­rftige in Deutschlan­d. Mit einer wachsenden Zahl hochaltrig­er Bürger wird auch die Zahl der Pflegebedü­rftigen weiter zunehmen.

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