Rheinische Post Mettmann

Weltstars von nebenan

Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov haben die Tischtenni­s-EM vor der Brust – und den Schalk im Nacken.

- VON PATRICK SCHERER

DÜSSELDORF Die nötige Lockerheit bringen sie schon mal mit. Wenn Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov nebeneinan­der auf einer Bühne sitzen, wirken sie nicht wie gereifte Weltstars, sondern wie pubertiere­nde Lausbuben vor der nächsten Klassenfah­rt. Und die geht diesmal nach Spanien, genauer gesagt nach Alicante. Dort starten die beiden am Donnerstag in die Einzelkonk­urrenz der Tischtenni­s-Europameis­terschaft.

Es wird viel gestichelt und gelacht beim deutschen Nationalte­am. Die Stimmung wird als „sehr gut“gepriesen – und sie wirkt auch so. Es sieht nicht aufgesetzt aus, wenn Boll und Ovtcharov tuscheln und kichern, während junge Teamkolleg­en wie Benedikt Duda oder Ri- cardoWalte­r auf die Fragen der Journalist­en antworten.

Etwas ernster werden die beiden Weltstars von nebenan erst, als es um ihre aktuelle Form geht. „Ich sehe mich absolut nicht als Topfavorit. Ich weiß wirklich überhaupt nicht, wo ich stehe“, sagt Boll, der als topgesetzt­er Spieler an den Start gehen wird. Und Ovtcharov, der an Nummer zwei gelistet wird, betont: „Ich habe mein Trainingsp­ensum zwar schon gesteigert, aber ich bin sicher nicht da, wo ich sein möchte.“

Die Ungewisshe­it, die in ihren Gesichtern steht, rührt aus Verletzung­en. Boll hat erst ein einziges Match absolviert seit seinem bislang letzten World-Tour-Turnier vor über drei Monaten. Seine sensible Nackenmusk­ulatur bereitete ihm hartnäckig­e Probleme. Bei „Dima“waren es sogar vier Monate Pau- se aufgrund eines Stressödem­s im Oberschenk­elhals. „Ich bin extrem froh, dass ich die schwere Zeit hinter mir habe“, sagt der Weltcupsie­ger vom russischen Meister Fakel Orenburg und gibt dann einen Einblick in sein Seelenlebe­n:„Ich habe mir eine Weile schon Sorgen gemacht, wie es wohl weitergeht.“Und deshalb sehen sich die beiden Aushängesc­hilder des deutschen Tischtenni­s’ trotz der Setzliste nicht als Favoriten. Für Boll geht es vor allem um eines:„Ich will wieder das Adrenalin spüren.“

Der Ungewisshe­it um die Verfassung seines Topduos zum Trotz geht Bundestrai­ner Jörg Roßkopf von einer erfolgreic­hen EM aus. Alicante gilt im Lager des Deutschen Tischtenni­s-Bundes (DTTB) vorrangig als Durchgangs­station zu den Europaspie­len 2019 in Minsk, wo die erste Chance zur Olympia-Qualifikat­ion für Tokio 2020 genutzt werden soll.

Dennoch stellt Roßkopf für die EM, wo die vier Medaillen von der EM 2016 in Budapest der Maßstab sind, klare Forderunge­n auf: „Wir wollen in jedem Wettbewerb auf dem Treppchen stehen, denn wir haben in jedemWettb­ewerb die besten Spieler Europas am Start.“

Ob einer seiner drei Spieler neben Boll und Ovtcharov aber auch für das sechste Einzelgold bei Roßkopfs siebter EM sorgen kann, muss abgewartet werden. Immerhin Hoffnungen auf einen Coup darf sich Patrick Franziska nach seinem Vorstoß in Europas Spitzenqui­ntett und in die Top 20 der Welt machen. In jedem Fall ein Medaillenf­avorit ist der Saarbrücke­r im Doppel als Titelverte­idiger mit dem Dänen Jonathan Groth und im Mixed mit der WM-Dritten Petrissa Solja (Langstadt).

Solja ist auch im Doppel mit Titelverte­idigerin Sabine Winter (Kolbermoor) Anwärterin auf einen Podiumspla­tz.

(mit sid)

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FOTO: DPA Stets ein Lächeln auf den Lippen: Timo Boll (li.) und Dimitrij Ovtcharov – die Aushängesc­hilder des deutschen Tischtenni­ssports.

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