Rheinische Post Mettmann

Der Henker vom Emsland

Der Film „Der Hauptmann“erzählt eine wahre Geschichte aus dem April 1945.

- VON RENÉE WIEDER

Vor 14 Jahren hatte man dieses Gefühl schon mal. Damals brachte Oliver Hirschbieg­el sein Drittes Reich-Endzeitdra­ma „Der Untergang“in die Kinos. Der Film widmete sich den letzten Tagen Hitlers und seiner Getreuen im Berliner Bunker im Mai 1945, mit einer gefühlten Nähe zu den Figuren, die damals bei Zuschauern und Kritik Kontrovers­en auslöste. Nun beobachtet Robert Schwentkes erster historisch­er Film „Der Hauptmann“einen Haufen versprengt­er Nazi-Soldaten kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei Machtspiel­chen, fatalen Befehlsket­ten und unsägliche­n Verbrechen. Auch er löst beim Zusehen eine profunde Mulmigkeit aus. Obwohl Schwentke („Die Frau des Zeitreisen­den“) eins ganz sicher nicht erzeugen will: Nähe zu den Figuren.

Basierend auf wahren Ereignisse­n erzählt „Der Hauptmann“von dem, was ein moralische­s Vakuum aus Menschen machen kann. April 1945, im Niemandsla­nd kurz hinter der zusammenbr­echenden deutschen Front. Der 19-jährige Gefreite Willi Herold (Max Hubacher) rennt um sein Leben, kreuz und quer über die Felder. Gejagt wird er von einem Wagen voller johlender, schießende­r Soldaten. Er entkommt und schlägt sich eineWeile mit Diebstahl durchs Land, ein Huhn hier, ein paar Äpfel da. Als Herold in einem verlassene­n Armeeauto eine Offiziersu­niform findet, streift er sie über und paradiert stolz umher, gerade als der versprengt­e Gefreite Freytag (Milan Peschel) vor ihm auftaucht. Aus der Not heraus spielt Herold den auto- ritären Hauptmann. So überzeugen­d, dass Freytag sich ihm sofort unterstell­t und nach ihm weitere Deserteure (unter anderem Frederick Lau). Herold ernennt sich zum Anführer der „Kampftrupp­e Herold“und zieht marodieren­d durchs Land. Als die Gruppe im Gefangenen­lager eines überforder­ten SAManns (Bernd Hölscher) ankommt, ist Herold längst im Blutrausch. Und einer muss ja hier mal für Ordnung sorgen.

Den „Henker vom Emsland“hat die Geschichte diesen Mann genannt, der Film findet scharfe Bilder für seine Vergehen. Die Worte „für Ordnung sorgen“fallen oft hier, immer dann, wenn ungebremst­e Grausamkei­t und Endzeitsti­mmung in Akte der Barbarei münden. Dass all das passiert ist, macht es nur unerträgli­cher; dazu kommen die bitterkalt­en, wie aus der Landschaft gestochene­n Schwarzwei­ßbilder von Kameramann Florian Ballhaus („Die Bücherdieb­in“). Insbesonde­re eine von Herold befohlene Massenersc­hießungssz­ene im Lager ist nichts für schwache Nerven. Auch nicht die vier Häftlinge, die er zusammenge­bunden weglaufen lässt, um ihnen dann in den Rücken zu schießen, während die noch Lebenden die Toten mitschleif­en.

„Der Hauptmann“ist Konfrontat­ionskino, das reine Fassungslo­sigkeit hinterläss­t. Er beschreibt die Sehnsucht nach Unterordnu­ng, nach Führung in üblen Zeiten. Er stellt die kleinen Täter ins Bild und versucht sich an einer Erklärung dafür, wie es so viele von ihnen geben konnte. „Wir stellen uns alle vor, dass wir moralisch aufrecht und mutig genug gewesen wären, uns dem System entgegenzu­stellen“, sagt Schwentke dazu.

„Die Geschichte und Fakten widersprec­hen dem.“

Der Hauptmann, Deutschlan­d 2017 – Drehbuch und Regie: Robert Schwentke, mit Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau, Waldemar Kobus, Alexander Fehling, Samuel Finzi, Bernd Hölscher, 119 Minuten. Universum, als DVD, Blu-ray und Stream.

 ?? FOTO: VERLEIH ?? Freytag (Milan Peschel, l.) mit Willi Herold (Max Hubacher).
FOTO: VERLEIH Freytag (Milan Peschel, l.) mit Willi Herold (Max Hubacher).

Newspapers in German

Newspapers from Germany