„Kunst darf sich nicht vereinnahmen lassen“
Der Worringer Platz strahlt eine große Faszination aus, finden viele Künstler. Der Soziologe beobachtet die Entwicklung mit Skepsis.
Wann und wie genau der Worringer Platz zu seiner Aura gekommen ist, weiß heute niemand mehr. Julia Stoschek betrieb hier eine Dependance, Galeristen suchen seine Nähe, und die Zahl origineller Führungen in der Gegend steigt. Das Kulturprojekt PostPost Grand Central brachte auf dem Gelände eines künftigenWohnviertels an der Erkrather Straße kreative Formate zum Erblühen. Es besorgte dem Investor auf diese Weise jene schillernden Attribute, die ein schlichtes Gebiet in eine angesagte Location verwandeln. Kurator Markus Ambach hat mit der Aktion „Von fremden Ländern in der eigenen Stadt“die schlagkräftige Verbindung von Urbanität und Kunst am Beispiel der Bahnhofsgegend und des Worringer Platzes veranschaulichen wollen. Düsseldorfs Schmuddelecken werden schön. Nicht ganz, meint Reinhold Knopp, Soziologe und Dekan des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. Er hat im Jahr 2000 an der Bürgerbeteilung zur Umgestaltung desWorringer Platzes mitgewirkt.
Herr Knopp, was ist toll am Trash?
REINHOLD KNOPP Das Unfertige, das nicht so Glatte und Cleane hat seinen eigenen Reiz und junge Menschen, meist Studierende und Künstler, finden in solchen Gegenden bezahlbare Lebensmöglichkeiten, das kenne ich in Bilk und Flingern noch aus meiner eigenen Studentenzeit. Je nach Lage und Ambiente fühlen sich dann die Besserverdienenden angezogen und das führt dann meist zu Veränderung, Aufwertung undVerteuerung.
Und was ist mit dem Wohlstandskribbeln, das sich einstellt, wenn man seinen Aperol Sprizz in einem abbruchreifen Haus genießt?
KNOPP Natürlich kommt die Faszination Großstadt hinzu. Städte zeichnen sich durch Heterogenität aus. Schauen wir auf das Gegenteil: Eine glatte Welt wie das Quartier Le Flair mit seinen einheitlichen weißen Bauten gibt das nicht her. An solchen Orten entsteht eher Tristesse. Da nutzt es nichts, dass man ihnen französische Namen gibt.
Die Bahnhofsgegend und der Worringer Platz sind derzeit schwer angesagt. Düsseldorfer Künstler initiieren Aktionen, die auf die Gegend zurückstrahlen sollen.
KNOPP Kleine feine Angebote gab es schon in früheren Jahren. Oliver Gather und Anne Mommertz und später auch Andrea Knobloch haben das Glashaus auf dem Worringer Platz vor 15 Jahren eröffnet und nutzen es seither konsequent als künstlerisch inspirierten Ausgangspunkt für eine Annäherung an den Platz, seine Umgebung und die Menschen, die sich dort aufhalten. Allerdings zieht der Worringer Platz auch weitere künstlerisch Aktivitäten an und hier muss die Frage erlaubt sein, ob Kunst Verantwortung für das übernimmt, was sie auslöst und hinterlässt.
Klingt so, als sähen Sie diesen Anspruch bei aktuellen Initiativen nicht erfüllt.
KNOPP Ich sehe es ambivalent. Wenn Markus Ambach mit seinem Kulturprojekt erreicht, dass Orte, die gemieden werden, in anderer, auch positiver Weise in das Bewusstsein der Menschen gerückt werden, ist das gut. Jedoch muss immer die Frage mitgehen, ob solche Aktionen auf Nachhaltigkeit angelegt sind und Kommunikation fördern oder ob damit eine Vereinnahmung dieser Orte einhergeht und sie zur Kulisse werden.
Was meinen Sie konkret?
KNOPP Es muss gefragt werden:Was haben die Menschen dort längerfristig davon, dass sie und ihre Treffpunkte in den Blick gerückt werden? Und was hat die Stadt davon?
Kunst allein kann ein solches Gefüge nicht herstellen.
KNOPP Nein, natürlich nicht. Um einen Platz wie den Worringer Platz zukunftsfähig zu machen müssen sich Kunst und Kultur, Stadtplanung und soziale Verbände zusammen- tun. Das geht nicht mehr aus einer einzigen Perspektive, dass muss interdisziplinär angegangen werden. Und auch mit stadtweiten Bezug, in dem Sinne, dass alle Menschen Raum in der Stadt haben und Kompromisse für ein Neben- oder auch Miteinander gefunden werden.
Wie sieht der perfekte urbane Platz aus?
KNOPP Urban! Ich bin verärgert darüber, wie der Begriff gebraucht wird. Entweder in den Feuilletons, um irgendetwas Künstlerisches als hip heraufzubeschwören, oder als Branding, um monoton gestaltete hochpreisige Neusiedlungen. All das hat mit Urbanität absolut nichts zu tun, denn Urbanität meint eine städti-
Kultur kämpft für den Erhalt dieser Vielfalt.
KNOPP Schuld an einer Aufwertung, die mit Mietanstieg und Verdrängung einher geht, kommt der Tatsache zu, dass Wohnungen als Ware am Markt gehandelt werden können. Aus der Kunst kommt hier vielfachWiderstand, aber nochmals: Reflektion des eigenen Agierens tut Not und damit auch die Frage, ob sich Kunst von den Profiteuren einer Gentrifizierung vereinnahmen lässt.Wir müssen lernen, dassWohnen nicht nur bedeutet zu bauen, sondern zu leben. Ich finde, das Planungsamt ist da auf einem sehr guten Weg, weil es in zahlreichen Veranstaltungen, wie Raumwerk D, mit den Menschen über Gestaltung diskutiert, anstatt alle Entscheidungen den Investoren zu überlassen.
Ist der Worringer Platz nun sexy oder nicht?
KNOPP Ja, dieser Platz und das Angrenzende mit den Nischen für Kunst und Kultur sind etwas Besonderes.