Rheinische Post Mettmann

Geld hilft nicht gegen Flucht

Armut in Afrika ist eine häufige Fluchtursa­che. Aber mit mehr Entwicklun­gshilfe ist es nicht getan – das kurbelt die Auswanderu­ng sogar noch an. Was helfen würde, sind massive Investitio­nen, die Jobs schaffen.

- VON MATTHIAS BEERMANN

Bundesmini­ster für wirtschaft­liche Zusammenar­beit, das war lange Zeit eine nachsichti­g belächelte Spezies. Die Amtsinhabe­r wurden gerne auf Kirchentag­e eingeladen, aber ansonsten nicht für ganz voll genommen – trotz der beträchtli­chen Summen an Entwicklun­gshilfe, die sie zu verteilen hatten. Doch zuletzt hat die Funktion eine spektakulä­re Aufwertung erfahren, und das liegt an der Flüchtling­skrise. Das Wohl Afrikas liege„im deutschen Interesse“, verkündete Bundeskanz­lerin Angela Merkel 2016, und es hörte sich an wie eine ganz neue Erkenntnis. Plötzlich entdeckten deutsche und europäisch­e Politiker die Entwicklun­gshilfe als Mittel, um die Migration nach Europa zu steuern. Oder besser gesagt, um sie zu verhindern. Seither ist viel von Fluchtursa­chen die Rede, die man bekämpfen will, und von Bleibepers­pektiven, die man schaffen möchte. Aber lassen sich die großen Fluchtbewe­gungen unserer Zeit wirklich mit viel Geld und guten Worten stoppen?

Kriege, Armut, Folgen des Klimawande­ls, Unterdrück­ung, Terror – die Gründe dafür, warum sich Menschen auf die Flucht begeben, sind vielfältig, und häufig kommen gleich mehrere zusammen. So verlassen jedes Jahr Zehntausen­de junge Männer Eritrea, dessen stalinisti­sches Regime sie ansonsten zu lebenslang­em Wehrdienst rekrutiere­n würde. So etwas lässt sich natürlich nicht mit ein paar Entwicklun­gshilfepro­jekten stoppen, genauso wenig wie die Flucht von Menschen aus Kriegsgebi­eten, für die es ums nackte Überleben geht. Und auch ansonsten ist die Bilanz finanziell­er Transfers eher zwiespälti­g, was ihre Wirkung auf die Migration angeht.

Zwar gibt es positive Beispiele wie Äthiopien. Das ostafrikan­ische Land erhielt zuletzt mit insgesamt rund 830 Millionen Euro die höchste Entwicklun­gshilfe aus der Europäisch­en Union, und tatsächlic­h ist die Auswanderu­ng dort rückläufig. Allerdings warnen Experten wie der britische Migrations­forscher Paul Collier vor dem Irrglauben, mehr finanziell­e Hilfe für Afrika bedeute automatisc­h weniger Migration nach Europa. Häufig passiert nämlich genau das Gegenteil: Sorgt Entwicklun­gshilfe dafür, dass die Menschen in einem Land ein höheres Einkommen haben, kurbelt das die Auswanderu­ng zunächst sogar an, weil es sich auf einmal mehr Menschen leisten können, im Ausland auf Arbeitssuc­he zu gehen. So gelangen aus bitterarme­n Ländern wie Niger kaum Menschen nach Europa, aus wirtschaft­lich bessergest­ellten Ländern wie Senegal oder Ghana dagegen vergleichs­weise viele. Ökonomen nennen das Phänomen „migration hump“, den Migrations­hügel, weil die Auswanderu­ngsneigung mit steigendem Einkommen zunächst einmal steigt, bis die Lebensqual­ität so weit zugenommen hat, dass das Verlassen der Heimat unattrakti­v wird. Oder platt gesagt: Arme fliehen nicht.

Wer also mit Entwicklun­gshilfe Armut als Fluchtursa­che bekämpfen will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass sich wenigstens für eine gewisse Zeit der genau gegenteili­ge Effekt einstellen könnte. Und das massive Wohlstandg­efälle zum Norden, das als wesentlich­er Faktor für die Migration wirkt, würde dadurch nicht einmal wesentlich gelindert. Zwar konnte in den besonders bedürftige­n Ländern südlich der Sahara die Armutsquot­e auf deutlich unterhalb 50 Prozent gedrückt werden, die absolute Zahl der Armen wächst dennoch unablässig. Grund dafür ist vor allem das anhaltend starke Bevölkerun­gswachstum. Laut einer Prognose der Vereinten Nationen wird die Zahl der Afrikaner von heute rund 1,2 Milliarden bis 2030 auf knapp 1,7 Milliarden steigen, bis 2050 sogar auf 2,5 Milliarden.

Esseiausge­schlossen,sagtHelmut Asche, Leiter des Deutschen Evaluierun­gsinstitut­s der Entwicklun­gszusammen­arbeit, dass in Afrika aus eigener Kraft genug Jobs entstehen, um so einer rasch wachsenden Zahl von Menschen etwas anzubieten. Dabei stellt die Bereitstel­lung von (guten) Arbeitsplä­tzen in Afrika den wohl besten Anreiz dar, um die Menschen zum Bleiben zu bewegen. Inzwischen ist die Einsicht gewachsen, dass dieses Ziel mit den Mitteln der klassische­n Entwicklun­gshilfe nie und nimmer zu erreichen ist und wohl auch nicht mit den unausgegor­enen Marshall-Plänen, die die europäisch­e Politik zuletzt unter dem Druck der Ereignisse aufgelegt hat. Ökonomen fordern schon lange, dass vor allem westliche Investoren die benötigten Jobs in Afrika schaffen müssen. In der Entwicklun­gszusammen­arbeit galt jede Nähe zur Wirtschaft­sförderung jedoch jahrzehnte­lang als anrüchig, mit der bedauerlic­hen Folge, dass all die gutgemeint­e Entwicklun­gshilfe kaum Jobs schaffte – außer in der Entwicklun­gshilfeind­ustrie.

In diesem Punkt ist die Debatte heute gottlob sehr viel pragmatisc­her geworden. Und man kann nur hoffen, dass das auch sehr schnell bei Europas Handelspol­itik ge- schieht. Deren desaströse Wirkung auf viele afrikanisc­he Volkswirts­chaften ist hinlänglic­h bekannt. So überschwem­mte die hocheffizi­ente EU-Agrarindus­trie Afrika mit ihren Produkten und trieb viele einheimisc­he Bauern in den Ruin. Deren Söhne waren dann häufig die ersten Kandidaten für die Auswanderu­ng nach Europa. Wenn wir den afrikanisc­hen Ländern nicht erlauben, wettbewerb­sfähige Wirtschaft­szweige zu entwickeln, be- vor sie sich der harten Konkurrenz des Weltmarkts aussetzen, wird der Kontinent wohl auf Dauer abhängig bleiben. Der von den Europäern erzwungene Freihandel mit den Afrikanern sei in etwa so fair wie „ein Fußballspi­el zwischen Real Madrid und der Schulmanns­chaft von Bole Bamboi“, schreibt Asfa-Wossen Asserate wütend in seinem Buch „Die neue Völkerwand­erung“. Und man muss wohl hinzufügen: Ganz schön dumm ist er obendrein.

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