Rheinische Post Mettmann

Spitzenkan­didaten und Ergebnisse der Bayern-SPD

Die Groko ist so schwach wie nie In Bayern droht nicht nur der CSU ein Desaster. Die SPD könnte in der Bedeutungs­losigkeit verschwind­en. Und auch im Bund befindet sich die Partei im Sinkf lug.

- VON JAN DREBES

bei den Landtagswa­hlen seit 1946 BERLIN Natascha Kohnen kämpft. Tatenlosig­keit kann ihr niemand vorwerfen. Die Spitzenkan­didatin der Bayern-SPD absolviert drei Tage vor der Landtagswa­hl noch einmal extra viele Termine. Sie ist in den sozialen Netzwerken präsent, lässt sich für einen kurzen Wahlwerbec­lip in einem Dönerladen beim Salatschne­iden filmen, vermittelt dabei die positive Geschichte bayerische­r Integratio­nskultur, ist abends im Bierkeller und am nächsten Morgen im Frühstücks­fernsehen. Doch die Umfragen kennen nur eine Richtung: abwärts.

Schon seit Jahrzehnte­n sieht es bei bayerische­n Landtagswa­hlen übel aus für die Genossen. Der einzige sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident Bayerns hieß Wilhelm Hoegner. 1957 endete dessen zweite Amtszeit, seitdem regiert die CSU ununterbro­chen. Aber so schlimm wie heute war es für die Sozialdemo­kraten noch nie am Alpenrand. Bei zehn bis maximal 13 Prozent sehen die Demoskopen die SPD so kurz vor der Wahl. Und selbst ein einstellig­es Ergebnis wird für Sonntag nicht mehr ausgeschlo­ssen. Damit könnte die SPD fünftstärk­ste Kraft werden. Hinter CSU, Grünen, AfD und Freien Wählern würde sie de facto in der Bedeutungs­losigkeit verschwind­en – je nachdem, welche Koalitions­optionen die CSU nach der Wahl hat, versteht sich.

Doch warum scheinen all die Mühen der Natascha Kohnen nicht zu fruchten? Ist die unbeliebte Bundesregi­erung von Union und SPD schuld an allem? Oder liegt es vielleicht auch an Kohnen selbst? Die Antworten sind irgendwo in einer Mischung all dessen zu finden.

Denn natürlich hat die teils schwer vermittelb­are Bundespoli­tik ihren Anteil an Kohnens drohendem Untergang. Per quasi öffentlich­em Brief begehrte Kohnen gegen die Zustimmung von Parteichef­in Andrea Nahles zur geplanten Beförderun­g von Verfassung­schutzchef Hans-Georg Maaßen zum Staatssekr­etär in Horst Seehofers Innenminis­terium auf. Nahles musste zurückrude­rn und Fehler einräumen, doch die Imagekatas­trophe war da. Die Korrektur konnte das Bild einer selbstgere­chten Politikerk­aste ohne Draht zum Wähler nicht mehr ausradiere­n.

Und überhaupt ging schon bei der Kehrtwende der SPD und ihrem Eintritt in die zuvor eigentlich ausgeschlo­ssene große Koalition viel Vertrauen verloren. Genau zu der Zeit wurde Kohnen ins Präsidium ihrer Partei gewählt. Sie trug die teils schwierige Argumentat­ion für ein weiteres Bündnis mit der Union mit. Ein Fan war sie jedoch nie.

Hinzu kommt ein strukturel­les Problem der Genossen in Bayern. Meist liegen ihre Zustimmung­swerte rund zehn Punkte hinter dem Bundestren­d, wo angesichts der derzeit ausgegeben­en 15 Prozent ebenfalls Alarmstufe Rot herrscht. Abgesehen von den bayerische­n Metropolen, die fast ausschließ­lich von Sozialdemo­kraten regiert werden, kann die SPD in Bayern schon seit Langem nicht mehr auf Erfolge zurückscha­uen.

Die Kandidatin Kohnen trägt dafür auch Verantwort­ung. Sie gilt als eher still, bedächtig, freundlich, abwägend – böse Zungen würden harmlos sagen. Und das mit einer polternden CSU und einem stets breitbeini­g auftretend­en Markus Söder vor der Nase. Gerade deswegen setzten Kohnens Wahlkampfs­trategen auf einen Gegenentwu­rf und ließen Begriffe wie „Anstand“mit einem Foto der 50-Jährigen plakatiere­n. Doch auch in Berlin wurde es scharf kritisiert, dass Kohnen die Chance nicht nutzte, die CSU im Sommer vor sich herzutreib­en, als die sich in dem weithin als absurd wahrgenomm­enen Asylstreit verrannte. Es wäre eine Gelegenhei­t für die SPD gewesen, in die Offensive zu kommen. Kohnen, so heißt Gemeinsam Im ARD-„Deutschlan­dtrend“ist die große Koalition auf ein Rekordtief gerutscht. Union und Sozialdemo­kraten kommen in der Sonntagsfr­age zusammen nur noch auf 41 Prozent.

Allein Die Union fährt mit 26 Prozent das schlechtes­te Ergebnis seit Einführung des „Deutschlan­dtrends“im Jahr 1997 ein. Das gleiche gilt für die SPD mit 15 Prozent. Die Grünen kämen auf 17 Prozent, die AfD auf 16. Für Linke und FDP schlügen jeweils zehn Prozent zu Buche. es selbst im Willy-Brandt-Haus, fehlte dafür aber wohl die nötige Kaltschnäu­zigkeit. Und so kommt es, dass ihr bereits ein Wahldesast­er zugerechne­t wird.

Gleichzeit­ig machen sich Parteilink­e an diesem Wochenende Gedanken, wie die SPD den gnadenlos abrutschen­den Umfragewer­ten etwas entgegense­tzen kann. Sie sehen in der Sozialpoli­tik ein Gegenrezep­t und ein Alleinstel­lungsmerkm­al der SPD. Die Union und die AfD würden sich an der Innen- und Flüchtling­spolitik abarbeiten (selbst wenn sich die Rechtspopu­listen mittlerwei­le auch Arbeiterpa­rtei nennen), die Grünen hätten ja die Umwelt, die Liberalen ihre ewigen Ideen von Steuersenk­ungen, und die Linken würden es mit der Umverteilu­ng doch übertreibe­n.

Dabei plant die Truppe um Parteivize Ralf Stegner und Matthias Miersch, Chef der mächtigen Parlamenta­rischen Linken, sowie Juso-Chef Kevin Kühnert und SPD-Linksaußen Hilde Mattheis ein radikal anderes Sozialstaa­tskonzept, das in Teilen auch der Linksparte­i zu Gesicht stünde. Freudig vernahmen sie Nahles’ Äußerungen, dass dieVorsitz­ende von der Agenda 2010 abkehren will, Pläne für einen „Sozialstaa­t 2025“ankündigte und einmal mehr die Koalition anzählte. „Der Vorstoß von Andrea Nahles zeigt, dass wir die Sozialstaa­tsdebatte nicht rückwärtsg­ewandt führen wollen“, sagte Stegner. An die Stelle von Hartz IV sollte ein System treten, das ein Leben ohne Existenzän­gste ermögliche. Elemente der Sozialrefo­rm könnten ein sanktionsf­reies Existenzmi­nimum, eigenständ­ige Kindergrun­dsicherung, um Kinderarmu­t zu überwinden, Hilfen für Alleinerzi­ehende, steigende Mindestlöh­ne von mindestens zwölf Euro, ein solidarisc­hes Grundeinko­mmen mit Sozialvers­icherungsp­flicht für Langzeitar­beitslose sowie gebührenfr­eie Bildung und eine Weiterbild­ungsgarant­ie sein.

An der Basis könnte das gut ankommen, wenn das Trauma der Agenda-Politik überwunden ist. Doch bis dahin müssen die Genossen noch einige Kompromiss­e mit der Union verkaufen. Folgen sie dabei weiter der Strategie, nach jedem noch so positiven Beschluss die Lücken zu betonen, die mit der Union nicht zu machen waren, könnte diese Zustimmung aber weiter ausbleiben. Und Kohnen dürfte all das nicht mehr helfen.

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AKTUELLSTE UMFRAGE, INSA

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