Rheinische Post Mettmann

Im Hinterzimm­er der Macht

Lot Vekemans Drama „Momentum“über ein Politiker-Ehepaar in der Krise wurde am Schauspiel­haus uraufgefüh­rt.

- VON MARION MEYER

Zwischen Macht und Ohnmacht liegt oft ein schmaler Grat. Das zeigt sich dann, wenn die Macht verloren geht, die eigenen Dämonen die Überhand gewinnen und den Betroffene­n in die Tiefe ziehen. Doch was macht die Macht so anziehend? So verführeri­sch? Und warum ist es so schwer, an Ideale zu glauben? Viele Fragen stellt Lot Vekemans in „Momentum“. Am Düsseldorf­er Schauspiel hat Hausregiss­eur Roger Vontobel das neue Stück der niederländ­ischen Erfolgsaut­orin nun uraufgefüh­rt und wurde mit viel Applaus belohnt.

Mit „Gift. Eine Ehegeschic­hte“hat Vekemans wohl eines der am häufigsten gespielten zeitgenöss­ischen Stücke der vergangene­n Jahre geschriebe­n. Ihre Werke, bisher in mehr als 20 Sprachen übersetzt, treffen einen Nerv und vereinen geistvolle Dialoge mit gesellscha­ftskritisc­hen Themen. So auch in ihrem neuen Werk „Momentum“.

Es geht um ein Politiker-Ehepaar in der Krise. Die Party zum 50-jährigen Bestehen der Partei steht bevor. DochVorsit­zender Meinrad (Christian Erdmann) sieht sich dem Druck nicht gewachsen und zweifelt zunehmend an sich selbst. Die starke Frau an seiner Seite, seine Frau Ebba (Jana Schulz), will nicht, dass er aufgibt, und spornt ihn an – wie so häufig. Dieter, mephistote­lischer PR-Berater (Wolfgang Michalek), geigt Meinrad die Meinung: Er verhalte sich dumm und gedankenlo­s, indem er Schwäche zeigt. Man merkt den Dreien an, dass sie sich schon lange kennen und Arbeit und Leben ineinander übergehen. Dieter will immer gewinnen: „Ich bin ein Sieger, weil ich nicht ans Scheitern glaube.“Und er weiß: Meinrad braucht ihn mehr als umgekehrt.

Aus der Dreierkons­tellatione­n aus dem Hinterzimm­er der Macht entwickelt Vekemans spannende Dia- loge, denen man gerne zuhört. Wer glaubt noch an die Ideale, mit denen sie irgendwann mal gestartet sind? Ebba ist die Strippenzi­eherin und wäre vielleicht auch die bessere Politikeri­n. Drahtig, eloquent und voller Energie hat sie sich immer hinter ihren Mann gestellt, der nun zusehends in sich zusammensa­ckt, wie ein Ballon, dem die Luft ausgeht. Er hat seinen Glauben an Veränderun­g verloren und kommt zu der Erkenntnis, dass sich Ideale und Macht nicht vereinen las- sen. Das will Ebba nicht akzeptiere­n und spornt ihn an, weiterzuma­chen. Bis sie erfährt, dass er depressiv ist und schon seit einiger Zeit Tabletten nimmt.

Doch auch die starke Frau, die mit den blonden kurzen Haaren an Robin Wrights Präsidente­ngattin in der Serie „House of Cards“erinnert, hat eine Achillesfe­rse: ihr ungeborene­s Kind, von dem weder Meinrad noch Dieter etwas wissen. Sie hat sich immer ein Kind gewünscht, es aber in der 14. Woche verloren. Nun begleitet es sie in Form eines junges Mannes (André Kaczmarczy­k), der zappelig wie ein Quälgeist, ein Störfeuer im Getriebe der Macht, herumsprin­gt, alles kommentier­t, was sie macht, oder ihre Emotionen spiegelt, indem er etwa Stühle herumschle­udert, wenn es ihr wahrschein­lich danach wäre. Das ungeborene Kind verkörpert ein Leben, das Ebba sich vielleicht immer gewünscht hat.

Mit der extrem körperlich­en Weise, in der sich Mutter und Sohn be- gegnen – in einer Szene verschränk­en sie sich fast wie siamesisch­e Zwillinge – setzt die Regie einen gelungenen Kontrapunk­t in der sonst auf Sprache und Intellekt reduzierte­n Konfrontat­ion der Protagonis­ten. Meinrads Verzweiflu­ng macht Christian Erdmann deutlich spürbar. Zwischen Tränen und Wutausbruc­h verzweifel­t er an der eigenen (Ohn-)Macht. Aber seine Frau auf der Party für sich sprechen lassen? Das kommt nicht in Frage. Auch später gefällt ihm die Idee nicht,

dass seine Frau das Ruder übernehmen und selbst kandidiere­n könnte. Denn selbst in einer Ehe gibt es Konkurrenz.

Lot Vekemans hat eindrückli­che Figuren entworfen, die in der Düsseldorf­er Inszenieru­ng von starken Schauspiel­ern getragen werden, und sie psychologi­sch so glaubwürdi­g ausgestalt­et, dass sie nicht zum Sprachrohr politische­r Phrasen werden. Sie denken beim Reden und reden beim Denken, und dabei schaut man ihnen gerne zu. Einzig die Figur des jungen Dichters (Kilian Land) bleibt etwas nebulös.

Klaus Grünberg (Bühne und Licht) lässt die Figuren auf einem beleuchtet­en Laufsteg agieren, der nur von Stuhlreihe­n flankiert ist. Später verwandelt sich die Bühne und lässt durch eine angewinkel­te Spiegelwan­d Blicke auf Vorder- und Rückseite der Menschen zu, wie ein Blick in einen selbst geschaffen­en Abgrund. „Wir sind alle gefangen in den Anforderun­gen eines Systems und gehen darunter gebückt“, sagt die Autorin im Programmhe­ft. Sie schafft mit „Momentum“eine treffende Parabel auf komplexe Zeiten, in denen es keine wirklichen Gewinner gibt.

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FOTO: SANDRA THEN Jana Schulz und Wolfgang Michalek als Partei-Strategen in „Momentum“.

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