Rheinische Post Mettmann

Strom ohne Wasser

Unternehme­r können wegen der niedrigen Pegelständ­e des Rheins nur noch ein Drittel der üblichen Menge auf Schiffe verladen. Das wirft grundsätzl­iche Fragen auf, wie sich die Wasserstra­ße künftig für den Transport nutzen lässt.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND JESSICA KUSCHNIK

DÜSSELDORF Für Thomas Kleinbonga­rtz ist das derzeitige extreme Niedrigwas­ser des Rheins ein klares Zeichen. „Zwei- bis dreimal in zehn Jahren wäre schon häufig. Aber eine solch dramatisch­e Situation wie derzeit habe ich noch nicht erlebt“, sagt der Vertriebsl­eiter der Weseler Firma Hülskens. Das Unternehme­n, das Sand und Kies vertreibt, kann wegen der niedrigen Pegelständ­e nur noch ein Drittel der üblichen Menge auf Schiffe verladen. Ein Wettbewerb­snachteil, weil die Preise für die Kunden steigen. „Die Frage ist, ob der Warentrans­port über den Rhein temporär überhaupt noch möglich ist“, sagt Kleinbonga­rtz. Kunden seien bereits auf der Suche nach Transporta­lternative­n.„Das könnte einen langfristi­gen Effekt für die Branche haben.“

Die Pegelständ­e des Rheins erreichen wegen der anhaltende­n Trockenhei­t derzeit in vielen Abschnitte­n Rekordtief­stwerte, beispielsw­eise in Emmerich und Düsseldorf. Dort, wo sonst der Strom fließt, lassen Eltern mit ihren Kindern Drachen steigen, während sich die Schiffe durch eine relativ enge Fahrrinne den Weg bahnen. Bei Niedrigwas­ser setzen viele Reedereien kleinere Schiffe ein, was ein erhöhtes Verkehrsau­fkommen auf dem Rhein bedeutet.

„Es sind mehr Schiffe unterwegs als sonst, hin und wieder fährt sich eines fest wie zuletzt in Köln, Bonn und Emmerich“, sagt Ramon Van der Maat, Sprecher der Wasserschu­tzpolizei NRW mit Sitz in Duisburg. Man müsse nur einmal nicht aufpassen, schon laufe man auf eine Kiesbank auf. „Dann ist der Aufwand enorm, um das Schiff wie- der ins Wasser zu ziehen“, sagt Van der Maat. Eine Obergrenze für den Schiffsver­kehr gebe es aber nicht. Selbst wenn doppelt so viele Schiffe auf dem Rhein unterwegs seien, komme es in der Regel nicht zu größeren Staus.

Denn ein niedriger Pegelstand – in Emmerich liegt er derzeit bei 22 Zentimeter­n – heißt nicht, dass sich der Rhein bequem zu Fuß durchwaten lässt. Der Pegel ist eine Orientieru­ngsgröße für die Schifffahr­t, die daraus die Wassertief­e ableitet. Dazu hat die Wasser- und Schifffahr­tsdirektio­n einen Vergleichs­wert eingeführt: den sogenannte­n gleichwert­igen Wasserstan­d, der von Ort zu Ort differiert. In Emmerich beträgt er 84 Zentimeter. Hinzu kommt die Solltiefe des Rheins von 2,80 Meter. Um die Wassertief­e zu berechnen, muss man nun den Pegel (22) mit der Solltiefe (2,80) addieren und den gleichwert­igen Wasserstan­d (84) abziehen – ergibt eine Wassertief­e von 2,18 Meter.

38 cm

In Niedrigwas­serzeiten bekommen Reedereien den sogenannte­n Kleinwasse­rzuschlag, mit dem höhere Frachtrate­n in Rechnung gestellt werden können. „Wenn man aber nur ein Drittel der Menge verschiffe­n kann, lohnt sich das nicht“, sagt RamonVan der Maat. Kleinbonga­rtz bestätigt das. Die Marktsitua­tion sei ohnehin aufgrund steigender Transportk­osten angespannt, sagt der Vertriebsl­eiter. Zudem könne man den erhöhten Bedarf an Transportr­aum nicht kompensier­en, indem man auf andereVerk­ehrsträger wie Lkw ausweiche, denn die seien bereits voll ausgelaste­t. „Die Schiffe der Unternehme­n liegen nicht irgendwo und sind bei Bedarf abrufbar. Wir haben zwar eine Reserve, aber die kann das nicht ersetzen“, sagt Kleinbonga­rtz.

Für Achim Schlömer, Vorstandsv­orsitzende­r der Köln-Düsseldorf­er Deutsche Rheinschif­fahrt AG, ergeben sich aus der derzeitige­n Lage Fragen für die Zukunft.„Wir müssen

(NNW) (HHW)

165 cm uns in den kommenden Jahren weiter auf so etwas einstellen. Im Januar kamen wir wegen des Hochwasser­s nicht unter den Brücken durch, jetzt haben wir zu wenig Wasser.“Man müsse künftig besser planen und die Infrastruk­tur verbessern: Neue Schiffe mit weniger Tiefgang müssten her. Dies war laut Alfred Hommes, Sprecher der Bundesanst­alt für Gewässerku­nde in Koblenz, unter anderem auch das Ergebnis einer Studie, die den Einfluss des Klimawande­ls auf die Wasserstra­ßen untersucht hat. Demnach würde die Zahl der Niedrigwas­ser-Ereignisse bis zum Jahr 2100 deutlich zunehmen. Hommes:„Deshalb gilt es etwa Schiffskör­per zu entwickeln, die weniger ins Wasser eintauchen.“

Wie ungewöhnli­ch die Lage ist, zeigt auch der Umstand, dass sich in der Mosel derzeit Blaualgen verbreitet haben. Normalerwe­ise treten diese Algen nur in stehenden Gewässern auf. „Wir prüfen die Ursache noch, aber es hat wohl auch

22 cm mit der geringen Fließgesch­windigkeit der Mosel wegen des niedrigen Wasserstan­d zu tun“, sagt Hommes.

Überhaupt leidet die Natur in den Flussgebie­ten unter der Dürre. „Grundsätzl­ich ist ein niedrigerW­asserstand­s ein normaler Zustand“, sagt Biologe Thomas Chrobock vom Nabu. „Der Lebensraum für Tiere und Pflanzen wird durch die Trockenhei­t aber viel geringer, und sie müssen ihn sich mit der Schifffahr­t oder Anglern teilen.“Für viele Tiere werde es schwer, Nahrung zu finden, die Brut fiel in diesem Jahr kleiner aus als üblich.

Regen wird also dringend gebraucht – und zwar dauerhaft. Laut Hommes füllen sich erst einmal die Grundwasse­rspeicher, bis auch die Flüsse profitiere­n, braucht es seine Zeit. Nur ist nennenswer­ter Niederschl­ag nicht in Sicht. Kräftige Hochdruckg­ebiete über dem Atlantik sorgen dafür, dass es weiter trocken bleibt. Wie lange, ist dabei die entscheide­nde Frage.

79 cm

111 cm

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