Rheinische Post Mettmann

Brüsseler Spitzen

Beim EU-Gipfel ist der Brexit das wichtigste Thema. Die Europäer bauen dabei gehörig Druck auf – unter anderem mittels einer Umfrage.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Es ist kein Zufall, dass die Eurobarome­ter-Umfrage exakt an dem Tag herauskomm­t, da beim EU-Gipfel in Brüssel das Brexit-Drama aufgerufen wird. Es ist Teil der psychologi­schen Verhandlun­gsführung von EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier und seinem Team, dass die EU der britischen Premiermin­isterin Theresa May just jetzt Zahlen einer repräsenta­tiven Erhebung präsentier­t, die ihr nicht gerade Rückenwind geben: Demnach würden 53 Prozent der Briten heute bei einer Volksabsti­mmung für den Verbleib in der EU stimmen. Nur 35 Prozent wären für den Brexit.Vor anderthalb Jahren stimmten 52 Prozent für den Ausstieg aus der EU.

Und deswegen mühen sich Unterhändl­er der Briten und der EU, Volkes Wille im Vereinigte­n Königreich inVerträge zu gießen. 90 Prozent des Austrittsv­ertrags sind ausverhand­elt. Eigentlich wollten die Staatsund Regierungs­chefs bei ihrem Treffen am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel beschließe­n, dass genügend Fortschrit­te bei denVerhand­lungen erzielt wurden, um dann den Weg freizumach­en für eine Besiegelun­g des Austrittsa­bkommens bei einem eigens anzusetzen­den Gipfel Mitte November.

Doch „es hat sich gezeigt, dass die Dinge komplizier­ter sind, als manche gedacht haben“, resümiert EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk, der Gastgeber des Treffens, in seinem Einladungs­schreiben. Die Uhr tickt. Damit die Parlamente der EU, Großbritan­niens und der Mitgliedst­aaten den Austrittsv­ertrag noch vor dem Austritt der Briten am 29. März ratifizier­en können, muss das Dokument bis Weihnachte­n fertig sein.

Es mag Verhandlun­gstaktik sein, dass nun von EU-Seite verstärkt ein ungeregelt­er Brexit ins Gespräch gebracht wird. „Wir müssen uns auf ein No-Deal-Szenario vorbereite­n“, warnt Tusk. In deutschen Regierungs­kreisen hieß es zwar, man habe nicht den Eindruck, dass man sich nun zügiger auf einen wilden Brexit vorbereite­n müsse. Es gehöre aber zu gutem Regierungs­handeln, gewappnet zu sein. Untergeset­zlich habe die Bundesregi­erung etwa dafür gesorgt, dass genügend Zöllner parat stünden, wenn Ende März das Vereinigte Königreich ungeregelt von Bord geht. Auch die Vorarbeite­n an einem Aufenthalt­srecht für britische Staatsbürg­er liefen nach Plan. Alles sei auf gutem Wege, heißt es aus Berlin.

Keine Frage: Die Gespräche zwischen dem Chefunterh­ändler Barnier und seinem britischen Pendant Dominic Raab stecken in der Sackgasse. Es muss ein Warnsignal sein, wenn Barnier bereit ist, die avisierte Übergangsp­hase von 29. März 2019 bis Ende 2021 zu verlängern, in der der Aussteiger Britannien noch im EU-Binnenmark­t ist. Das deutet darauf hin, dass der Abbruch der Verhandlun­gen am Wochenende nicht taktisch war, dass es auch nicht darum ging, auf der letzten Etappe für Dramatik zu sorgen. Vielmehr ist der Streit um das Grenzregim­e zwischen Nordirland und Irland schwer lösbar. Womöglich ist er gar nicht zu lösen.

Darum geht es: Beide Seiten wollen verhindern, dass es zwischen Nordirland und der Republik Irland wieder zu Grenzkontr­ollen kommt. Das gilt als Gefahr für den Frieden in der ehemaligen Bürgerkrie­gsregion. Die EU verlangt eine Auffanglös­ung („Backstop“) für den Fall, dass es nicht gelingt, ein weitreiche­ndes Abkommen über den Freihandel hinzubekom­men.

Im Prinzip hat London diese Auffanglös­ung bereits versproche­n. Die konkrete Ausgestalt­ung ist aber komplizier­t: Brüssel fordert, dass Nordirland im Binnenmark­t bleibt. London kann das nicht akzeptiere­n, weil damit die Abspaltung Nordirland­s programmie­rt sei. London wiederum will, dass bis auf Weiteres das gesamte Vereinigte Königreich in der Zollunion bleibt. Das kann die EU nicht akzeptiere­n. Sie befürchtet, dass es Nachahmer gibt und damit die Einheit des EU-Binnenmark­ts gefährdet wäre.

Beim Gipfel war May nur eine kleine Rolle zugedacht. Sie durfte vor dem Abendessen ihre Sicht auf die Brexit-Verhandlun­gen darlegen. Die Erwartung, dass sie den Gesprächen mit einer zündenden Idee wieder Schwung verleihen würde, erfüllte sich aber offenbar nicht: May habe keine neuen Kompromiss­vorschlä-

ge gemacht, sagte EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani. Allerdings sei die Stimmung entspannte­r gewesen als vor vier Wochen beim EU-Treffen in Salzburg. Man mag es als weitere Brüsseler Spitze verstehen, dass Tajani über May hinzufügte: „Ihre Körperspra­che war positiver als in der Vergangenh­eit.“

Anschließe­nd musste die Premiermin­isterin den Saal verlassen, die verbleiben­den 27 Mitgliedsl­änder berieten dann das weitere Vorgehen. Auch das gehört zur psychologi­schenVerha­ndlungsfüh­rung der Europäisch­en Union: Brüssel hält May auf Distanz.

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FOTO: REUTERS Die britische Premiermin­isterin Theresa May am Mittwoch bei ihrer Ankunft in Brüssel.

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