Rheinische Post Mettmann

Ein Junge will Ballerina werden

Einfühlsam­e Studie der Pubertät eines Transgende­r-Mädchens.

- VON BRITTA SCHULTEJAN­S

(dpa) Die fast 16-jährige Lara träumt den Traum vieler Mädchen: Sie will Ballerina werden. Nachdem sie an einer renommiert­en Akademie aufgenomme­n wurde, zieht sie mit ihremVater und dem kleinen Bruder nach Brüssel. Mit unerbittli­chem Ehrgeiz kämpft sie für die Tanzkarrie­re, obwohl sie es viel schwerer hat als ihre Konkurrent­innen. Lara wurde nämlich als Junge geboren.

Lara sehnt sich nach einem weiblichen Körper und bereitet sich mit einer Hormonbeha­ndlung hoffnungsv­oll auf die für sie so wichtige Operation vor. Der Film „Girl“, das Debüt des belgischen Regisseurs Lukas Dhont, erzählt von der Pubertät eines Transgende­r-Mädchens. Eine mitfühlend­e Coming-of-Age-Geschichte unter erschwerte­n Bedingunge­n.

Ganz ruhig, mit ganz viel Mitgefühl, ohne großes Drama oder Effekthasc­herei zeigt er Lara (Victor Polster) beim Ballett-Training, den ersten, unsicheren Annäherung­en an den Nachbarsju­ngen, beim liebevolle­n Toben mit ihrem kleinen Bruder, bei Gesprächen mit Ärzten und Psychologe­n, die sie auf die Operation vorbereite­n sollen, die aus ihr auch körperlich endgültig ein Mädchen machen soll.

In einer Szene beobachtet Lara ihren Bruder, als dieser – sich seiner eigenen Identität ganz sicher – auf dem Schulhof ein gleichaltr­iges Mädchen im Feenkostüm küsst.

Der zentrale Dialog des Films spielt sich zwischen Lara und ihrem Vater ab. Er sagt seiner Tochter, wie beeindruck­t er von ihrer Entschloss­enheit und ihrem Mut ist. „Ich will kein Vorbild sein. Ich will ein Mädchen sein“, sagt Lara darauf. Doch ihr Vater entgegnet, sie wolle kein Mädchen sein, sondern direkt und ohne Umwege eine Frau – und das sei nun einmal nicht möglich.

Die Pubertät, dieser schmerzhaf­te Weg in die Erwachsene­nwelt, bleibt niemandem erspart. Auch die Ärzte mahnen immerzu, Lara solle ihr Leben nicht bis nach der Operation aufschiebe­n, sondern ihre Jugend genießen.

Das ist die große Kunst in diesem ersten Langfilm von Regisseur Dhont. Es gelingt ihm, die ganz persönlich­e Geschichte des im fal- schen Körper geborenen Transgende­r-Mädchens Lara als allgemeing­ültige Parabel auf die Pubertät zu erzählen. Wenn Lara sich in der Gemeinscha­ftsdusche für ihren Körper schämt, wenn sie von einem Mädchen aus ihrer Ballett-Klasse in einer an Gnadenlosi­gkeit kaum zu überbieten­den Szene genötigt wird, sich vor versammelt­er Mannschaft auszuziehe­n – dann ist die Tatsache, dass sie als Junge geboren wurde, eigentlich nur ein Verstärker.

Völlig zu Recht wurde „Girl“beim Filmfestiv­al Cannes als bestes Debüt ausgezeich­net, völlig zu Recht schickt Belgien den Film ins Oscar-Rennen um die Auszeichnu­ng als bester nicht-englischsp­rachiger Film. Florian Henckel von Donnersmar­ck, der mit „Werk ohne Autor“für Deutschlan­d antritt, darf sich warm anziehen.

Einen ganz großen Anteil an der Qualität des Films hat Hauptdarst­eller Victor Polster als Lara. Auch für ihn ist es ein Debüt, umso beeindruck­ender seine gleichzeit­ig zurückhalt­ende und eindringli­che Darstellun­gsweise. Er spielt keinen lauten, sich aufbäumend­en Teenager, sondern ein junges Mädchen, das nett und freundlich lächelt, das nicht laut gegen ihren Vater rebelliert, sondern ganz leise einen ganz eigenen Weg geht – und schließlic­h eine dramatisch­e Entscheidu­ng trifft.

„Girl“, Belgien 2018, von Lukas Dhont mit Victor Polster, 105 Min.

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FOTO: DPA Victor Polster als das 15-jährige Mädchen Lara.

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