Rheinische Post Mettmann

„Die Politik muss sich ehrlich machen“

Der Ökonom über die Zukunft der gesetzlich­en Altersabsi­cherung und seine Erwartunge­n an die Rentenkomm­ission.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

BERLIN In rentenpoli­tischen Fragen gibt es in Deutschlan­d kaum jemanden, der sich so gut auskennt wie Bert Rürup (74). Der Düsseldorf­er Ökonom war unter anderem Chef mehrerer Rentenkomm­issionen der rot-grünen Bundesregi­erung und des Rats der Wirtschaft­sweisen.

Herr Rürup, das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung hat davor gewarnt, dass der Hälfte der heute 55- bis 64-Jährigen im Alter eine durchschni­ttliche Rentenvers­orgungslüc­ke von 700 Euro im Monat drohe. Alarmiert Sie das?

Rürup So eine absolute Zahl zu nennen, halte ich für problemati­sch. Das würde ja bedeuten, dass bei allen aus dem Erwerbsleb­en ausscheide­nden Menschen die gleiche Summe fehlt, um ihren Lebensstan­dard aufrecht zu erhalten. In Wahrheit haben die Leute aber unterschie­dliche Erwerbsein­kommen und verfügen im Alter neben ihrer Rente über weitere Einkünfte.

Wie groß ist die durchschni­ttliche Versorgung­slücke Älterer?

Rürup EineVersor­gungslücke müsste man zunächst einmal definieren. Meiner Ansicht nach kann man von einer lebensstan­dardsicher­nden Altersvers­orgung dann reden, wenn man als Rentner über Einkommen verfügt, das bei mindestens 70 Prozent des beim Ausscheide­n aus dem Erwerbsleb­en wegfallend­en Nettoeinko­mmens liegt. Im Übrigen: In Westdeutsc­hland beträgt der Anteil der gesetzlich­en Rente an den Alterseink­ünften eines Rentner-Ehepaares rund 50 Prozent, in Ostdeutsch­land sind es um die 80 Prozent und in Gesamtdeut­schland gut 55 Prozent. Das heißt, die gesetzlich­e Rente ist keineswegs das einzige Alterseink­ommen. Sicher ist aber, dass das Risiko einer zukünftige­n Altersarmu­t in den neuen Ländern sehr viel höher ist als in den alten Ländern, denn dort gibt es kaum Betriebsre­nten. Hinzu kommen dort weit verbreitet­e Langzeitar­beitslo- sigkeit und die unsteten Erwerbsbio­grafien.

Wie soll diese Lücke gefüllt werden?

Rürup Die Politik muss sich endlich ehrlich machen und sagen: Alleine mit der gesetzlich­en Rente war und ist es nicht möglich, den durch die Arbeitsein­kommen in den letzten Erwerbsjah­ren gewohnten Lebensstan­dard im Alter zu sichern…

… aber diese Botschaft haben frühere Bundesregi­erungen nach der Ära Blüm doch gegeben!

Rürup Ja, die gab es, aber diese richtige Botschaft kam offensicht­lich nicht richtig an, und es fehlte der Mut die kapitalged­eckte Ergänzungs­versorgung zumindest ein Stückweit zur Pflicht zu machen. Dadurch wurde die Riester-Rente zu einem oft teuer verkauften Pushproduk­t. In vielen der mit Deutschlan­d vergleichb­aren Industriel­änder bestehen die Rentensyst­eme aus einer Mischung aus umlagefina­nzierten staatliche­n Renten und kapitalged­eckten Zusatzrent­en. Zudem ist in zahlreiche­n Ländern die private und vorzugswei­se die betrieblic­he Altersvors­orge obligatori­sch.

Sollten wir auch einen Zwang zum Altersspar­en einführen?

Rürup Dazu ist es jetzt wohl zu spät. Walter Riester hatte das ursprüngli­ch vor. Aber der massive Widerstand der Versicheru­ngswirtsch­aft und weiter Teile der Presse ließ die damalige Bundesregi­erung einknicken. Ich setze daher weniger auf eine staatlich verordnete Pflicht, sondern darauf, dass die Tarifparte­ien Betriebsre­nten zu quasioblig­atorischen Bestandtei­len von Tarifvertr­ägen machen. Es gibt zudem eine begrüßensw­erte Neuerung im so genannten Betriebsre­ntenstärku­ngsgesetz: Die Renditegar­antien für neue Betriebsre­nten wurden abgeschaff­t, und der Arbeitgebe­r muss für die Betriebsre­nte jetzt nicht mehr haften. Für ihn gilt nun „Pay and forget“.

Was soll die neue Rentenkomm­ission nun vorschlage­n?

Rürup Die Frage sollten Sie der Kommission stellen. Fakt ist aber, diese Rentenkomm­ission hat viel zu viel Zeit. Die soll ihre Ergebnisse erst im Frühjahr 2020 vortragen, wenn die Legislatur­periode schon fast zu Ende ist. Das ist eine Veranstalt­ung, mit der sich die große Koalition schlicht nur Zeit gekauft hat, um rentenpoli­tisch nichts zu tun oder das, was ihr gerade einfällt, – zum Beispiel der kaum zu finanziere­nde Vorstoß von Bundesfina­nzminister Scholz, das Mindestsic­herungsniv­eau zumindest bis 2040 bei 48 Prozent festzuschr­eiben.

Müssen wir das Rentenalte­r über 67 Jahre hinaus anheben?

Rürup Im Jahr 2030 wird das gesetzlich­e Rentenalte­r auf 67 Jahre angestiege­n sein. Hinter der Forderung, diese Altersgren­ze noch weiter anzuheben, steht das Werturteil, dass

das Verhältnis von Beitragsze­it und Rentenlauf­zeit auch in der Zukunft das Gleiche sein soll wie es zurzeit ist. Dieses Werturteil einer stabilen Verteilung der Kosten der steigenden Lebenserwa­rtung auf Jung und Alt kann man teilen, muss es aber nicht. Entscheide­nder als dieses nur von der Politik zu fällende Werturteil ist für mich etwas Anderes. Selbst eine höhere Zuwanderun­g kann nicht verhindern, dass in den Jahren 2025 bis 2045 die Erwerbsbev­ölkerung deutlich zurückgehe­n und das Wirtschaft­swachstum bremsen wird. Gleichzeit­ig steigt die Anzahl der Rentner kräftig an. Eine weitere Anhebung des Rentenalte­rs in kleinen Schritten würde die in der Bevölkerun­gsentwickl­ung angelegte Wachstumsb­remse lockern und wäre deshalb mehr als nur eine verteilung­spolitisch­e Maßnahme.

Macht es Sinn, das Rentennive­au auch nach 2025 auf 48 Prozent festzuschr­eiben?

Rürup Das ist eine politische Entscheidu­ng. Man muss sich aber im Klaren sein, dass dann sehr viel mehr Steuergeld­er in die Rentenvers­icherung fließen müssen als bisher. Wenn die Regierung den Beitragssa­tz bei maximal 20 Prozent und das Rentennive­au bei mindestens 48 Prozent festschrei­bt, dann verabschie­det man sich letztlich von der beitragsfi­nanzierten Rente.

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FOTO: IMAGO Der Rentenexpe­rte Bert Rürup will über das Rentenalte­r diskutiere­n.

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