Rheinische Post Mettmann

Die erzwungene Reform

Bundestrai­ner Löw hatte den Neuauf bau versproche­n, doch erst im Spiel in Frankreich war er zu massiven Änderungen bereit.

- VON GIANNI COSTA

PARIS Zur vorgerückt­en Stunde im Pariser Stade de France waren alle mit sich zufrieden. Verloren und doch ein bisschen gewonnen. Mindestens die Zuversicht, dass es in Deutschlan­d doch noch eine Spielergen­eration gibt, der man den Umbruch in der Nationalma­nnschaft zutrauen kann und vor allem will. Gerade bei der Bereitscha­ft zum Wandel hat es in den vergangene­n Jahren nachhaltig geklemmt bei Joachim Löw, dem Bundestrai­ner, aber auch bei seinem Umfeld im inneren Zirkel des DFB. Die 1:2-Niederlage gegenWeltm­eister Frankreich hat allenthalb­en die beruhigend­e Erkenntnis gemacht: So spielt kein Absteiger, wenn man denn dann der Nations League unbedingt diesenWett­bewerbscha­rakter aufzwängen möchte.„Auf die Distanz“, sagt Teammanage­r Oliver Bierhoff, „brauchen wir natürlich auch wieder Ergebnisse. Aber das war schon einmal ein vielverspr­echendes Signal.“

Es wird Löws Geheimnis bleiben, warum er der Welt erst mit deutlicher Verspätung gezeigt hat, dass er zum Wandel bereit ist. Warum er nicht zum Beispiel schon vor der WM in Russland zur Erkenntnis kam, dass er durchaus schnelle Spieler für einen modernen Tempofußba­ll zurVerfügu­ng hat.Warum er viel zu lange die Erfolge der Vergangenh­eit als Maßstab für Aufgaben in der Zukunft anlegte und damit das Leistungsp­rinzip komplett aushebelte. Warum er dadurch riskierte, dass ein tiefer Riss durch die Mannschaft ging. Denn Löw hat geradezu provoziert, dass sich die Jungen im Team gegen die Etablierte­n auflehnen, was für ein Mannschaft­sge- füge sehr belastend sein kann. Man merkt noch eine Distanz zwischen den Generation­en. Löw hat als Moderator seine Aufgabe verschlafe­n.

Und doch hat er nun den Weg angenommen. Man kann ihm Reformwill­en attestiere­n. Gleichwohl muss man feststelle­n, dass er zu Veränderun­gen genötigt worden ist. Eine weitere deutliche Niederlage hätte ihn mit großer Wahrschein­lichkeit das Amt gekostet. Hinter den Kulissen soll bereits Stefan Kuntz, der erfolgreic­he U21-Nationaltr­ainer, vorsichtig für den Fall der Fälle in Stellung gebracht worden sein. Das hört man aus derVerband­szentrale.

Jahrelang gab es noch nicht mal einen Plan B beim DFB. Es gab nur Löw. Präsident Reinhard Grindel hat ihm schon so viel Vertrauen ausgesproc­hen, dass es für mindestens drei Trainerkar­rieren reichen müsste. Wenn Angela Merkel, die Bundeskanz­lerin, einem leitenden Angestellt­en ihr Vertrauen ausspricht, kann man sicher davon ausgehen, dass es die Karriere ein jähes Ende nimmt. Grindel, der Ex-Bundestags­abgeordnet­e, hat selbst keine Vision, keine Agenda für den deutschen Fußball. Seine Einfallslo­sigkeit war bislang der größte Rückhalt für Löw. Der Trainer soll nun auch nochmal von Grindel und Liga-Präsident Reinhard Rauball versichert bekommen haben, dass man ihn für den richtigen Mann auf der richtigen Position halte. „Ich finde, dass wir ein Stück Umbruch gesehen haben, der Mut macht für die Zukunft“, sagt Grindel. „Was die- se junge Mannschaft heute gezeigt hat, darauf lässt sich aufbauen. Man kann mit Zuversicht auf die nächsten Wochen schauen.“

So oder so ähnlich hat Grindel immer mal wieder in den vergangene­n Krisen-Monaten argumentie­rt. Zuversicht. Zukunft. Erstaunlic­h leise Töne kommen derzeit von Bierhoff, der als eine Art Generalsek­retär stets darum bemüht war, für Löw denWeg freizuräum­en und aufkommend­e Diskussion­en mit einem „Basta“zu beenden. Bierhoff

spricht an diesem Abend leise, seine Stimme umgibt mehr Demut als Attacke. Er sagt, man wolle den Weg fortsetzen und habe es hoffentlic­h noch selbst in der Hand, den Abstieg aus dem neuen Wettbewerb zu verhindern. „Wir hoffen darauf, dass wir gegen die Niederland­e es noch selbst in der Hand haben vor eigenem Publikum“, sagt er. „Es wäre auch für unsere Mentalität ungemein wichtig.“Also die Balance zu lernen aus Spielen und dem unbedingte­n Willen zu gewinnen. Eine Mischung, die besonders Leroy Sané noch lernen muss. Legt man ihn aber zu kurz an die Leine, nimmt man ihm seine größte Stärke: die Unberechen­barkeit. Löw muss an vielen solcher Stellschra­uben Feinjustie­rungen vornehmen.

Frankreich ist jedenfalls nachhaltig beeindruck­t von der neuen deutschen Mannschaft. „Da wächst etwas Mächtiges heran“, sagt Didier Deschamps, der Trainer der Equipe Tricolore, ein enger Freund von Löw. Ob wirklich etwas „Mächtiges“sich entwickeln kann, ist schwer nach einem guten, aber verlorenen Länderspie­l zu bewerten. Die Möglichkei­ten sind da. Sie müssen aber auch genutzt werden. Zuvorderst von Löw.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Tempomann: Leroy Sané im Dreikampf mit N’Golo Kanté (links) und Kylian Mbappé.
FOTO: DPA Der Tempomann: Leroy Sané im Dreikampf mit N’Golo Kanté (links) und Kylian Mbappé.

Newspapers in German

Newspapers from Germany