Rheinische Post Mettmann

„Eine Depression meistert man nicht alleine“

In einem Buch berichtet die TV-Moderatori­n vom Leben mit ihrem depressive­n Vater. Auch sie erkrankte.

- S. DALKOWSKI FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Als das Handy klingelt, weiß sie schon, was los ist, bevor sie das Gespräch annimmt. Nova Meierhenri­ch ist im Drehstress an jenem Tag im April 2011. Am Telefon teilt ihre Mutter ihr mit, dass sich ihrVater das Leben genommen hat.

Was das mit einer Familie anrichtet, wenn derVater an Depression­en erkrankt, darüber hat Nova Meierhenri­ch, 44, TV-Moderatori­n („Prominent“) und Schauspiel­erin, ein Buch geschriebe­n. In „Wenn Liebe nicht reicht“schildert sie, wie sich ihr Vater Mitte der 90er nach dem Konkurs seiner Firma immer weiter zurückzog und schließlic­h kaum noch sein Zimmer verließ. Zu sehr erdrückte ihn der Gedanke, dass er beruflich gescheiter­t war. Doch Meierhenri­ch war nicht nur Angehörige eines Depressive­n, sie erkrankte auch selbst.

1993 musste Ihr Vater Konkurs anmelden – wann merkten Sie, dass er sich veränderte?

NOVAMEIERH­ENRICH MeinVater war ein Familienme­nsch. Als er sich immer mehr zurückzog, hat uns das aufhorchen lassen.Vorher war er im Beruf stets strukturie­rt, immer 150 Prozent. Muster, die typisch für ihn waren, änderten sich. EineVeränd­erung alleine ist nicht tragisch, aber es kam ein Puzzleteil zum nächsten, bis ein Bild daraus wurde. Wir standen zuerst zu nah davor, um es zu erkennen. Bis wir einen Schritt zurückgetr­eten sind.

Irgendwann sprach Ihre Mutter ihre eigene Hausärztin an.

MEIERHENRI­CH Sie hat ihr erzählt, was sie empfindet, und die Hausärztin war eine kompetente und sehr mitfühlend­e Person. Sie war es, die das Wort Depression­en zum ersten Mal in den Mund nahm. Nun wussten wir immerhin, womit wir es zu tun hatten. Sie legte meiner Mutter ans Herz, mit meinem Vater zu einem Psychiater zu gehen – was er nicht wollte. Sie ging dann alleine, um sich zu informiere­n.

Später kam er doch mit.

MEIERHENRI­CH Meiner Mutter zuliebe. Er hat alles nur meiner Mutter zuliebe getan. Er selbst hielt das nicht für wichtig.

Was haben Sie über Depression­en gelernt, was vielen Leuten bis heute nicht klar ist?

MEIERHENRI­CH Eine Depressi- on ist eine ernstzuneh­mende Krankheit, die töten kann. Wie Krebs. Depression­en haben nichts damit zu tun, dass man mal einen Durchhänge­r hat. Die Krankheit bringt Botenstoff­e im Gehirn durcheinan­der und kann jeden erwischen. Das hat nichts damit zu tun, dass man ein schwacher Charakter ist oder nicht belastbar. Ohne fremde Hilfe findet der Kranke meist nicht mehr heraus. Oft sind es Medikament­e, auf jeden Fall sind es Therapien. Trotzdem schwingt bei Leuten häufig mit: Vielleicht ist der auch selbst schuld. Wer weiß, wie er gelebt hat.

Der Depressive wird in der Öffentlich­keit stigmatisi­ert.

MEIERHENRI­CH Deshalb trauen sich viele Betroffene nicht, darüber zu sprechen. Das ist tragisch, denn nur, wer darüber spricht, kann Hilfe bekommen. Ein Arzt hat uns die Depression erklärt wie eine Mauer um einen herum. Am Anfang ist die Mauer noch klein genug, dass der Kranke drüber schauen kann. Man kann ihm die

Hand reichen.

Später muss er sich schon auf Zehenspitz­en stellen. Und irgendwann ist die

Mauer so hoch, dass nichts mehr zu einem dringt. Das ist der Punkt, an dem es zu spät ist.

Entscheide­nd ist also, früh Hilfe in Anspruch zu nehmen.

MEIERHENRI­CH Eine Depression ist gut heilbar. Aber nur, wenn sich Leute frühzeitig anderen anvertraue­n. Die erste Anlaufstel­le sind die Hausärzte. Diese müssen unbedingt noch mehr auf das Erkennen von Depression­en geschult werden, damit sie Leute nicht einfach nur mit Schlafmitt­eln nach Hause schicken, sondern durchschau­en, mit welchem Problem da jemand vor ihnen sitzt. Doch nach dem Arztbesuch dauert es in Deutschlan­d noch oft vier bis fünf Monate, bis man eine Therapie beginnen kann. Die Zahl der Psychologe­n wurde vor Jahren mal festgesetz­t und seitdem nicht mehr geändert. Obwohl die Zahl der Menschen explodiert ist, die eine Therapie suchen.

Was kann die Familie, was können Freunde leisten?

MEIERHENRI­CH Das engere Umfeld kann die Hand reichen, Hilfe anbieten, es kann und muss signalisie­ren, dass es da ist. Aber es ist begrenzt in seinen Möglichkei­ten. Vielleicht ist jemand schon so sehr drin in der Spirale, dass er für Hilfe gar nicht mehr empfänglic­h ist. Das ist sehr frustriere­nd für Angehörige. Wichtig ist, dass Angehörige Hilfe in Anspruch nehmen. Das kann man nicht alleine durchstehe­n.

Ihre Mutter hat das so belastet, dass sie sich von Ihrem Vater getrennt hat. Sie wurden zu seinem wichtigste­n Ansprechpa­rtner und haben sich so aufgeriebe­n, dass Sie selbst depressiv wurden.

MEIERHENRI­CH Dass ich selbst Hilfe brauche, habe ich erstmal von mir gewiesen. So wie mein Vater. Ich war mir sicher, ich wüsste alles über die Krankheit und könnte das selbst regeln. Aber es ist egal, wie viel du weißt: Die Krankheit kriegt dich trotzdem.

Wie fanden Sie wieder heraus?

MEIERHENRI­CH Zum Glück hatte ich eine Freundin, die merkte, dass ich die Kontrolle verloren hatte über mein Leben. Sie hat gesehen, dass sich da ein Muster geändert hat. Sie hat mich nicht erpresst, aber sie ist hartnäckig geblieben.

Einmal sagte Ihr Vater zu Ihnen: „Ich weiß, dass du mich liebst, aber das reicht nicht.“Das muss das härteste sein, was einem der eigene Vater sagen kann.

MEIERHENRI­CH Liebe ist das stärkste Gefühl, das wir zur Verfügung haben. Und wenn selbst diese Emotion nicht reicht, um jemandem im Leben zu halten, ist das der tiefste Schlag in die Magengrube, den man bekommen kann. Das macht einem auch die ganze Hilflosig-

keit klar, denn danach sind ja alle Mittel eines Angehörige­n ausgeschöp­ft. Ich war wütend, verzweifel­t. Ich habe gedacht: Wenn wir dich alle lieben, muss es doch dafür reichen, dass du hierbleibe­n willst.

Erst nach seinem Selbstmord haben Sie es doch verstanden.

MEIERHENRI­CH Ich war mit einem Mann in einer Sendung zu Gast, der selbst versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Ein Vater von drei Kindern. Er hat mir erklärt: Du musst versuchen, ihm zu verzeihen. Denn diese Gefühle, diese Liebe, dringt nicht mehr zu ihm durch. Das hat mir sehr geholfen.

Haben Sie Schuldgefü­hle?

MEIERHENRI­CH Hätte ich mich nicht noch mehr anstrengen müssen? Diese Frage wird mich bis ans Lebensende begleiten.

Wo ist Ihr Vater jetzt?

MEIERHENRI­CH Wie das aussieht, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass unser Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist. Im Leben meines Vaters war kein Licht mehr, es war reine Dunkelheit. Kein gesunder Mensch kann sich vorstellen zu gehen, aber für ihn war der Tod eine Erlösung. Das muss ich so hinnehmen.

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FOTO: KATRIN SCHÖNING Die TV-Moderatori­n Nova Meierhenri­ch

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