Berührung
Vor etlichen Wochen hörte ich am Sonntag den Bibeltext aus dem Markus-Evangelium (Mk 5,21-29) und er beschäftigt mich seitdem. Er berichtet von einer Frau, die schon viele Jahre aussichtslos erkrankt war. Ihr ist klar, dass Jesus, der gerade in ihrem Dorf weilt, sie sicher nicht heilen würde – schließlich ist sie „nur“eine Frau, noch dazu eine, die aufgrund ihrer Krankheit von Jugend an von der Gesellschaft ausgeschlossen ist.
Trotzdem fragt sie sich: „Wenn ich nur den Saum seines Gewandes berühre, werde ich geheilt werden?“Das ist doch Aberglaube, magisches Denken – so meine erste Reaktion. Sie berührt dann tatsächlich heimlich, versteckt und von hinten den Saum seines Gewandes.
„Wie kann sie sich das trauen?“, denke ich, „sie will sich wohl ihre Heilung heimlich erschleichen!“Beim Nachdenken kommen mir weitere Erklärungsversuche in den Sinn: Vielleicht ist die Frau einfach so verzweifelt und überzeugt, nichts mehr zu verlieren zu haben. Sicher ist sie auch voller Scham und traut sich nicht, ihre Not in Worte zu fassen und Jesus anzusprechen. Ihre heimliche Berührung zeugt jedoch von ihrem Vertrauen in die Kraft, die von Jesus auszugehen scheint. Ich erfahre dann, wie die Geschichte ausgeht: Die Frau spürt augenblicklich, dass sie geheilt ist und ich frage mich: „Wie kann das sein?“. Im Gedränge um Jesus herum haben ihn doch bestimmt mehrere Men- schen berührt. Jesus hat sich aber gerade vom heimlichen, nicht offensichtlichen Anfassen seines Gewandes durch die Frau berühren lassen. Er kann wohl noch im Aberglauben dieser Frau ihren Glauben spüren und weist ihre heimliche Berührung nicht zurück. Er lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes von ihrer Not, ihrer Scham und ihrer Verzweiflung, „berühren“: Die göttliche Kraft, die von ihm ausgeht, berührt wiederum die Frau und ermöglicht ihre Heilung. Ihr, die vorher an der Entfaltung ihres Menschseins gehindert war, wird ein neues Leben geschenkt, ihr werden neue Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.
Ich frage mich seitdem: Möchte Jesus nicht auch mich oder etwas in mir anrühren und lebendig machen? Ich kann meine Sehnsucht spüren, dass auch ich in dem, was mich in meinem Alltag belastet und einschränkt, ihn berühren darf und dann von seiner Kraft berührt werde. Ich erkenne allerdings auch, dass ich versucht bin zu hoffen, Gottes Kraft möge die Dinge in meinem Sinne, nach meinem Wunsch regeln. Vor der vorprogrammierten Enttäuschung mancher Hoffnung hilft mir ein Wort von Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“
Ulrike Peters, Gemeindereferentin in den Katholischen Kirchengemeinden in Haan und Hilden