Fotograf mit Auge für sinnliche Kunst
Auf seinen Fotostreifzügen hat Manfred Bicker seine Heimatstadt Düsseldorf ganz neu kennengelernt.
ERKRATH/DÜSSELDORF Während wir Museen und Galerien besuchen, um Kunst zu bewundern, gehen wir tagtäglich an vielen Kunstwerken achtlos vorbei. Zahlreiche Skulpturen säumen Düsseldorfs Stadtbild, manche unübersehbar an prägnanten Orten, andere eher versteckt.
Auch Manfred Bicker hat viele Objekte, die er in seiner Fotodokumentation „Sinnliche Kunstobjekte im Stadtbild von Düsseldorf (Bilder, Geschichten und Hintergründe)“zeigt, erst auf den zweiten Blick bewusst wahrgenommen. Obwohl in Düsseldorf geboren, entdeckt der heute in Erkrath lebende Hobbyfotograf seine Heimatstadt und deren Umgebung erst jetzt richtig kennen.
In zwei Bildbänden hat er sich bereits auf Entdeckungstour entlang der Düssel durch Erkrath und Umgebung gemacht. „Dabei stieß ich in Düsseldorf immer wieder auf besondere Skulpturen an Denkmälern, Gebäudefassaden, in Parks und sogar auf Friedhöfen mit einer sinnlichen Ausstrahlung“, erklärt er. „Das hat mir eine ganz neueWelt eröffnet. Vieles kannte und wusste ich nicht und musste mir die Geschichte der Kunstwerke und ihrer Schöpfer erst erarbeiten.“Anderthalb Jahre lang hat er jeden Nachmittag einige Stunden an seinem Bildband gearbeitet.
Bickers Spurensuche beginnt am Museum Kunstpalast im Ehrenhof mit der 1924 von Arno Breker geschaffenen „Aurora“und führt den Leser von dort durch Düsseldorfs Vielfalt bildhauerischer Arbeiten, die nicht nur künstlerisch, sondern auch historisch Zeitzeugnisse der Geschichte geben. Nicht immer folgt er seinem Thema „Sinnlichkeit“, auch Werke von Josef Beuys und Günther Uecker beispielsweise oder das „Stadterhebungsmonument“von Bert Gerresheim finden Erwähnung.
Und dabei spart der Autor nicht mit seiner Meinung, in der die zeitgenössischen Kunst meist nicht gerade gut wegkommt, den Kunst soll für ihn vor allem eins sein: schön. Großen Raum nimmt aber ein trauriges Kapitel deutscher (Kunst)geschichte ein: „Bei der Beschäftigung mit Düsseldorfs Denkmälern kommt man zwangsläufig in Berüh- rung mit der NS-Vergangenheit unseres Landes“, sagt der heute 77-Jährige. Auf seinen Fototouren ist er auf viele Skulpturen gestoßen, die nur durch glückliche Umstände oder geschicktes Taktieren von Kunstkennern nicht dem Rassenwahn des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer gefallen sind, seither aber mehrfach ihren Standort wechseln mussten. Wie beispielsweise die „Wasserträgerin“von Bernhard Sopher, dem als Nichtarier die Ausübung seines Berufs als Künstler untersagt wurde.
Obwohl die „Wasserträgerin“von den Nazis als „entartete Kunst“deklariert und im Krieg als „Metallspende“eingeschmolzen werden sollte, ist sie heute noch in der kleinen Parkanlage an den Rheinterrassen zu bewundern. Zwei weitere
Bronzen von Sopher hatten weniger Glück und wurden zerstört.„Nur die leeren Sockel vor dem Kunstpalast erinnern ‚Eingeweihte‘ noch daran“, bedauert Bicker.
Auch seine eigene Geschichte hat Manfred Bicker in seinen Bildband eingewoben: „Ehra, das Mädchen mit dem Ball“ist eine Plastik von Otto Pankok, die an ein Sinti-Kind erinnert, das um 1940 zusammen mit mehr als 900 weiteren Sinti in einem Internierungslager am Höherweg in Lierenfeld unter unmenschlichen Bedingungen leben musste. Nicht weit von diesem Lager entfernt ist Manfred Bicker aufgewachsen.
„In Sichtweite des Lagers hatten wir Kinder unseren Bolzplatz. Zigeunerkinder – wie man damals noch sagte – spielten dort nicht mit“, sagt er bedrückt: „Wir machten uns darüber auch keine Gedanken, denn wir waren dafür noch zu klein.“Dennoch: „Die persönliche Betroffenheit bleibt“, sagt Bicker.
Dass er den Höhepunkt seiner Spurensuche gerade bei einem von den Nazis hoch gelobten Künstler finden würde, wäre Manfred Bicker nie in den Sinn gekommen – bis er durch Zufall den privaten Skulpturengarten des umstrittenen Bildhauers Arno Breker entdeckte. Damit wird er sich in seinem nächsten Bildband beschäftigen.