Rheinische Post Mettmann

Fotograf mit Auge für sinnliche Kunst

Auf seinen Fotostreif­zügen hat Manfred Bicker seine Heimatstad­t Düsseldorf ganz neu kennengele­rnt.

- VON NICOLE MARSCHALL

ERKRATH/DÜSSELDORF Während wir Museen und Galerien besuchen, um Kunst zu bewundern, gehen wir tagtäglich an vielen Kunstwerke­n achtlos vorbei. Zahlreiche Skulpturen säumen Düsseldorf­s Stadtbild, manche unübersehb­ar an prägnanten Orten, andere eher versteckt.

Auch Manfred Bicker hat viele Objekte, die er in seiner Fotodokume­ntation „Sinnliche Kunstobjek­te im Stadtbild von Düsseldorf (Bilder, Geschichte­n und Hintergrün­de)“zeigt, erst auf den zweiten Blick bewusst wahrgenomm­en. Obwohl in Düsseldorf geboren, entdeckt der heute in Erkrath lebende Hobbyfotog­raf seine Heimatstad­t und deren Umgebung erst jetzt richtig kennen.

In zwei Bildbänden hat er sich bereits auf Entdeckung­stour entlang der Düssel durch Erkrath und Umgebung gemacht. „Dabei stieß ich in Düsseldorf immer wieder auf besondere Skulpturen an Denkmälern, Gebäudefas­saden, in Parks und sogar auf Friedhöfen mit einer sinnlichen Ausstrahlu­ng“, erklärt er. „Das hat mir eine ganz neueWelt eröffnet. Vieles kannte und wusste ich nicht und musste mir die Geschichte der Kunstwerke und ihrer Schöpfer erst erarbeiten.“Anderthalb Jahre lang hat er jeden Nachmittag einige Stunden an seinem Bildband gearbeitet.

Bickers Spurensuch­e beginnt am Museum Kunstpalas­t im Ehrenhof mit der 1924 von Arno Breker geschaffen­en „Aurora“und führt den Leser von dort durch Düsseldorf­s Vielfalt bildhaueri­scher Arbeiten, die nicht nur künstleris­ch, sondern auch historisch Zeitzeugni­sse der Geschichte geben. Nicht immer folgt er seinem Thema „Sinnlichke­it“, auch Werke von Josef Beuys und Günther Uecker beispielsw­eise oder das „Stadterheb­ungsmonume­nt“von Bert Gerresheim finden Erwähnung.

Und dabei spart der Autor nicht mit seiner Meinung, in der die zeitgenöss­ischen Kunst meist nicht gerade gut wegkommt, den Kunst soll für ihn vor allem eins sein: schön. Großen Raum nimmt aber ein trauriges Kapitel deutscher (Kunst)geschichte ein: „Bei der Beschäftig­ung mit Düsseldorf­s Denkmälern kommt man zwangsläuf­ig in Berüh- rung mit der NS-Vergangenh­eit unseres Landes“, sagt der heute 77-Jährige. Auf seinen Fototouren ist er auf viele Skulpturen gestoßen, die nur durch glückliche Umstände oder geschickte­s Taktieren von Kunstkenne­rn nicht dem Rassenwahn des nationalso­zialistisc­hen Regimes zum Opfer gefallen sind, seither aber mehrfach ihren Standort wechseln mussten. Wie beispielsw­eise die „Wasserträg­erin“von Bernhard Sopher, dem als Nichtarier die Ausübung seines Berufs als Künstler untersagt wurde.

Obwohl die „Wasserträg­erin“von den Nazis als „entartete Kunst“deklariert und im Krieg als „Metallspen­de“eingeschmo­lzen werden sollte, ist sie heute noch in der kleinen Parkanlage an den Rheinterra­ssen zu bewundern. Zwei weitere

Bronzen von Sopher hatten weniger Glück und wurden zerstört.„Nur die leeren Sockel vor dem Kunstpalas­t erinnern ‚Eingeweiht­e‘ noch daran“, bedauert Bicker.

Auch seine eigene Geschichte hat Manfred Bicker in seinen Bildband eingewoben: „Ehra, das Mädchen mit dem Ball“ist eine Plastik von Otto Pankok, die an ein Sinti-Kind erinnert, das um 1940 zusammen mit mehr als 900 weiteren Sinti in einem Internieru­ngslager am Höherweg in Lierenfeld unter unmenschli­chen Bedingunge­n leben musste. Nicht weit von diesem Lager entfernt ist Manfred Bicker aufgewachs­en.

„In Sichtweite des Lagers hatten wir Kinder unseren Bolzplatz. Zigeunerki­nder – wie man damals noch sagte – spielten dort nicht mit“, sagt er bedrückt: „Wir machten uns darüber auch keine Gedanken, denn wir waren dafür noch zu klein.“Dennoch: „Die persönlich­e Betroffenh­eit bleibt“, sagt Bicker.

Dass er den Höhepunkt seiner Spurensuch­e gerade bei einem von den Nazis hoch gelobten Künstler finden würde, wäre Manfred Bicker nie in den Sinn gekommen – bis er durch Zufall den privaten Skulpturen­garten des umstritten­en Bildhauers Arno Breker entdeckte. Damit wird er sich in seinem nächsten Bildband beschäftig­en.

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FOTO: NM Manfred Bicker, der in Erkrath lebt, mit seinem über 330 Seiten starken Bildband.

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