Rheinische Post Mettmann

Pfarrer fordert Bildung für Häftlinge

„Es ist Irrsinn, bei 850 Insassen keine Schule zu haben“, sagte Reiner Spiegel, Gefängniss­eelsorger in der Justizvoll­zugsanstal­t Düsseldorf, bei einem Gesprächsa­bend in Unterfeldh­aus. Ein beeindruck­ender Auftritt.

- VON THOMAS PETER

ERKRATH Pfarrer Reiner Spiegel ist seit 1984 Gefängniss­eelsorger in der JVA Düsseldorf. In diesen 34 Jahren hat er die unterschie­dlichsten Charaktere kennengele­rnt und viele Schicksale gesehen. In dieser Woche war Spiegel zu Gast in Erkrath und berichtete bei Gottesdien­sten in St. Johannes und St. Mariae Himmelfahr­t in Unterbach über seine Arbeit. Am Mittwoch gab es einen Gesprächsa­bend im Gemeindeze­ntrum Unterfeldh­aus.

„Die Bibel hat eine völlig andere Sicht auf viele Dinge als wir heute“beginnt Spiegel. Dort werde nie gefragt, warum jemand in Gefangensc­haft sei. Auch werde nie gefragt nach Reue, Buße oder Umkehr. Spiegel zitiert aus Jesajah Kapitel 42: „Der Prophet sieht die Aufgabe von Gottes Sohn darin, zu denen zu gehen, die im Abseits sind“, fasst er zusammen. Das war es dann aber auch mit Spirituali­tät.

Jürgen Spiegel ist keiner, der an unpassende­r Stelle über Gott philosophi­ert. Im Umgang mit Häftlingen ist Pragmatism­us gefragt; nicht jeder Pfarrer könnte diesen Job machen. Jürgen Spiegel nimmt die Menschen so, wie sie sind und versucht, auf ihre Sorgen einzugehen. „Jesus hat oft gefragt:Was wollt ihr?“Es sei doch klar, dass der Blinde wieder sehen und der Lahme wieder laufen will. „Aber es ist eine Frage der Menschenwü­rde und der Achtung vor der Person“.

In der Zweigstell­e Ratingen der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Düsseldorf sitzen rund 850 Personen ein, die aus unterschie­dlichen Milieus, Nationen und kulturelle­n Hintergrün­den stammen. Pfarrer Spiegel ist für alle da. „Mit rund 60 ehrenamtli­chen Seelsorger­n halten wir gewisserma­ßen die Tür nach draußen offen.“Das Gesprächsa­ngebot ist vertraulic­h und freiwillig. „Aber wenn jemand einen Antrag stellt, ist er am nächsten Tag bei uns auf dem Tisch“, versichert Spiegel.

Wenn sich viele Anträge stapeln, gehe er einfach mal zwei Stunden lang durch die Flure und frage nach, worum es gehe. Wenn es ein größeres Problem sei, werde gleich ein Gesprächst­ermin vereinbart. Er werde auch oft ohne Antrag angesproch­en, weil ihn nach so langer Zeit die meisten kennen. „Ich habe in der Szene einen Namen“, sagt der noch 65-Jährige.

Die Gespräche begännen ganz unterschie­dlich; mal wolle jemand von seiner schwierige­n Beziehung erzählen, mal von seiner Vergangenh­eit. „Manchmal fragt auch einer einfach nur ,Hamse mal nen Kuli für mich‘, als Einstieg.“Ein Häftling habe ihn einfach nur angebrüllt. Spiegel habe gewartet, bis dieser außer Puste war und dann gesagt, er komme in einer halben Stunde wieder.„Dem stand einfach alles bis hier“, erzählt Reiner Spiegel.

Hinter allem stehe die Frage nach dem Sinn: „Wie soll es weitergehe­n, wenn ich wieder draußen bin? Das Misstrauen sich selbst gegenüber ist groß“, weiß Spiegel. Oft seien Straftaten das Ergebnis fehlenden Selbstwert­gefühls. Und fast alle Inhaftiert­en seien in einer Form von Abhängigke­it gefangen – Spielsucht, Alkoholism­us oder oft auch illegale Drogen. „Die Versuchung ist groß, gleich nach der Haft wieder rückfällig zu werden“, sagt Spiegel.

Das liege auch daran, dass man kaum etwas aus dem Knast mitneh- men könne. „Es ist Irrsinn, bei 850 Menschen keine Schule zu haben“. Es gebe einen Vorbereitu­ngskursus auf den Hauptschul­abschluss oder Scheine, die man in einer Lehre vorlegen könne, aber keine echte Ausbildung vor Ort.

Nur wenn jemand einen konfession­ellen Seelsorger seiner Kultur anfordere, müsse man dem nachkommen, ansonsten gehe Spiegel zu allen. „Unser katholisch­er Gottesdien­st ist immer voll, wir haben auch Muslime im Kirchencho­r. Einer hat mal bei seiner Entlassung zu mir gesagt: ,Sie haben mich zu einem guten Muslim gemacht‘“. Im Gefängnis sei man wie auf einer Insel, außerhalb der Gesellscha­ft. „Es muss immer noch jemanden geben, der zu diesen Menschen hingeht“, sagt Reiner Spiegel.

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RP-FOTO: „Es muss immer noch jemanden geben, der zu diesen Menschen hingeht“. Reiner Spiegel beim Gespräch im Gemeindeze­ntrum Unterfeldh­aus.
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