Rheinische Post Mettmann

Tatort Istanbul

Jamal Khashoggi starb angeblich an einem Würgegriff im saudischen Konsualt in Istanbul. Das hat das Königreich eingestand­en. Die Konsequenz­en des Falls sind weitreiche­nd. Eine Analyse.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Der Mord an Jamal Khashoggi wird zum Fiasko für den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman. Das Verbrechen sollte wohl einen lästigen Kritiker aus dem Weg räumen – erschütter­t nun aber die gesamte Politik Saudi-Arabiens. Die immer neuen Versionen aus Riad zum Fall Khashoggi bestätigen nicht nur, dass der Thronfolge­r fast drei Wochen lang gelogen hat und mit rücksichts­loser Brutalität gegen Dissidente­n vorgeht. Nach Einschätzu­ng von Experten steht wegen des Mordes auch die westliche Unterstütz­ung für den wirtschaft­lichen Umbau Saudi-Arabiens infrage. In den politische­n Beziehunge­n zum Westen könnte die vom Prinzen verschulde­te Krise am Ende dem Rivalen Iran nützen.

Der barbarisch­e Mord an dem Regimekrit­iker Khashoggi schockiert die Welt: Allein dieses Entsetzen ist ein politische­r Mühlstein für Saudi-Arabien. Selbst wenn die erste Abscheu der internatio­nalen Gemeinscha­ft abgeklunge­n sein wird, dürfte der Mord im Konsulat dauerhafte Folgen für Riad haben.

AmWochenen­de sickerten Details über den Tod Khashoggis. Ein hochrangig­er saudischer Regierungs­vertreter brachte eine Version in Umlauf, wonach die saudi-arabische Regierung Khashoggi überzeugen wollte, in das Königreich zurückzuke­hren. Ein nach Istanbul entsandtes 15-köpfiges Team habe aber schnell Gewalt angewendet. Khashoggi habe sich widersetzt, er sei in einenWürge­griff genommen worden. „Sie haben versucht zu verhindern, dass er schreit.“Dabei sei der Journalist gestorben. „Es war nicht die Absicht, ihn zu töten.“Khashoggi, der zuletzt in den USA lebte, wollte am 2. Oktober im Konsulat Dokumente für seine bevorstehe­nde Hochzeit holen. Seither galt er als vermisst. Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass er in dem Konsulat getötet und seine Leiche fortgescha­fft wurde. Saudi-Arabien hatte diese Darstellun­g zunächst zurückgewi­esen und erklärt, der Journalist habe das Konsulat kurz nach seinem Besuch wieder verlassen.

Der Leichnam blieb weiter verschwund­en. Die Leiche sei in einen Teppich eingewicke­lt und in einem Auto des Konsulats weggeschaf­ft worden, sagte der saudi-arabische Regierungs­vertreter. Sie sei an einen lokalen Helfer übergeben worden. Es werde versucht herauszufi­nden, wo sie verscharrt worden sei. Die türkischen Behörden suchen unter anderem in einem Waldstück bei Istanbul nach den sterbliche­n Überresten.

Nun hat Saudi-Arabien neben einem Imageschad­en mit demVerlust der Glaubwürdi­gkeit einer bisher sehr selbstbewu­ssten Regionalma­cht zu kämpfen. Die saudische Regierung behauptete wochenlang, sie wisse nicht, was aus Khashoggi geworden sei. Am Samstag erklärte sie, Khashoggi sei bei einer „Schlägerei“im Konsulat gestorben.

Die ständig wechselnde­n Darstellun­gen zeugen entweder von amateurhaf­ten Vertuschun­gsversuche­n oder davon, dass sich die saudischen Regierungs­behörden von ihren eigenen Geheimdien­sten immer neue Märchen auftischen lassen. Ganz gleich, was nun dahinterst­eckt: Wer soll in Zukunft noch saudischen Stellungna­hmen glauben? Saudi-Arabien habe „öffentlich gelogen“, was nun die Position des Landes „völlig unterminie­rt“, schrieb der Nahost-Experte Michael Stephens von der britischen Denkfabrik RUSI auf Twitter.

Ein Ende des Debakels ist nicht in Sicht. Auch der Versuch der Regierung, Thronfolge­r Mohammed aus der Schusslini­e zu bringen, wird scheitern: Die Bestrafung enger Berater des Kronprinze­n ist ein Bauernopfe­r, das im Westen niemanden überzeugen dürfte. Politisch ist der 33-jährige Kronprinz, der oft nur MBS genannt wird, nun einmal der Verantwort­liche. Der saudische König Salman ordnete staatliche­n Medien zufolge an, den Vizegeheim­dienstchef Ahmed Assiri und den Könighaus-Berater Saudal-Kahtani, der als rechte Hand von MBS gilt, ihrer Position zu entheben. Die Staatsanwa­ltschaft teilte mit, die Ermittlung­en liefen noch. 18 saudi-arabische Staatsbürg­er seien festgenomm­en worden.

Die Konsequenz­en für das Königreich reichen weit über Ansehensfr­agen hinaus. Ein Blick auf die Kernpunkte im Reformprog­ramm des Kronprinze­n zeigt, wie groß der wirtschaft­liche Schaden sein dürfte. Der anvisierte Umbau Saudi-Arabiens zu einem modernen Staat, der sich von der Ölindustri­e löst und führend im Hightech-Bereich wird, erfordert Milliarden-Investitio­nen und die Hilfe von westlichen Technologi­e-Konzernen.

Schon vor den diversen saudischen Stellungna­hmen vom Wochenende hatten führende Banker, Politiker und Unternehme­r aus dem Westen ihre Teilnahme an einer Investoren­konferenz in Riad abgesagt – eine Schmach für den Prinzen, der sich bei dem Treffen als Reformer profiliere­n wollte. Plötzlich meide jeder den Kontakt mit MBS, meldete die Nachrichte­nagentur Bloomberg.

Aus dem erhofften Investitio­nsschub aus dem Ausland dürfte erst einmal nichts werden. Bereits im vergangene­n Jahr gingen die ausländisc­hen Direktinve­stitionen in Saudi-Arabien laut Bloomberg stark zurück. Das hatte unter anderem mit

der Unberechen­barkeit des Kronprinze­n zu tun, der Rivalen aus der Königsfami­lie unter dem Vorwand der Korruption­sbekämpfun­g interniere­n ließ. Durch den Mord an Khashoggi dürfte der Ruf des Investitio­nsstandort­s Saudi-Arabien noch mehr leiden.

Auf politische­r Ebene droht MBS ebenfalls Ärger. Selbst US-Präsident Donald Trump, der in der Debatte über mögliche Strafmaßna­hmen immer wieder die Bedeutung der Partnersch­aft mit Riad betont, ist mit den Erklärungs­versuchen unzufriede­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und andere europäisch­e Spitzenpol­itiker sind ohnehin unbeeindru­ckt von den saudischen Volten. Westliche Rüstungsli­eferungen an die Saudis kommen auf den Prüfstand. Auch im US-Kongress wächst die Entschloss­enheit, Saudi-Arabien die Grenzen zu zeigen.

Über ihre Anhänger in den Medien ließ die Führung des Königreich­s den Westen wissen, dass etwaige Sanktionen mit einer drastische­n Anhebung der Ölpreise beantworte­t würden. Ein solches Zerwürfnis würde am Ende dem Gegner Iran dienen, meint Sanam Vakil von der Denkfabrik Chatham House. Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Westen könnte die internatio­nalen Bemühungen um eine Eindämmung des iranischen Einflusses in Nahost hemmen.

(mit Reuters)

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FOTO: DPA Das saudische Symbol auf der Eingangstü­r des Konsulats.

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