Rheinische Post Mettmann

Hightech-Händler zwischen analog und digital

Der stationäre Handel sucht nach neuen Einkaufser­lebnissen und Möglichkei­ten, seine Produkte digital in Szene zu setzen. Drei Beispiele.

- VON DAGMAR HAAS-PILWAT

Mode oder Schmuck zu verkaufen, bedeutet Begehrlich­keit wecken – ein Weg könnte das preisgekrö­nte Modell LiSA (Live Shopping Assistant) sein. Von zu Hause aus in der Boutique einkaufen oder auf Shopping-Tour durchs Einkaufs-Center gehen? „Kein Problem“, sagt Sophie Spethmann, CEO der LiSA Retail Innovation GmbH mit Sitz in Düsseldorf. Gemeinsam mit Philippe Frères und Fabian Broszat hat sie eine neue Technologi­e (Soft- und Hardware) entwickelt, die Händlern die Chance bietet, ihren Kunden – ganz gleich ob in Darmstadt oder Dubai – Live Video Shopping anzubieten.

Angefangen hat alles im Kindermode­nladen Barbara Frères auf der Königsalle­e. „Wir haben einen digitalen Verkaufska­nal geschaffen als Schnittste­lle zwischen Online-Shopping und stationäre­m Handel“, erklärt Sophie Spethmann. Jetzt haben die pfiffigen Erfinder eine weitere Premiere gefeiert: Das Stadtzentr­um Schenefeld bei Hamburg setzt LiSA als erstes Einkaufsze­ntrum Deutschlan­ds ein. „Der Kunde bucht online einen Termin“, sagt die Jung-Unternehme­rin, „eine Personal Shopperin begrüßt den zugeschalt­eten Kunden“.

Gemeinsam „besuchen“sie alle Geschäfte des Centers, machen alle Erledigung­en, holen eine Produktber­atung in einem bestimmten Geschäft ein oder entscheide­n sich für eine Stilberatu­ng. Und dann? „Der Kunde erhält eine Sammelrech­nung, zahlt online und dieWare wird ihm dann zugeschick­t“, erklärt Sophie Spethmann. Dem Nutzer wer- de so das Beste aus beiden Welten geboten.

Und LiSA wächst weiter: Der Juwelier Christ hat den innovative­n Kundenserv­ice entdeckt und nutzt ihn für seinen ersten Online-Reparatur-Service. „Per Live Video kann derjenige, der seine Uhr reparieren lassen will, persönlich mit dem Uhrmacher in der Werkstatt sprechen“, erklärt Sophie Spethmann.

Wer mit Produktexp­erte Jannik Neumann in der Düsseldorf­er Mercedes-Benz Niederlass­ung im roten Mercedes-Benz-Modell Platz nimmt und die Datenbrill­e aufsetzt, erlebt die A-Klasse in ganz neuen und unbekannte­n Dimensione­n: dreidi- mensional und in virtueller Realität (VR). Intuitiv, per Fingerdruc­k lässt sich der Wagen mit Hilfe von 3D-Technik in diversen Konfigurat­ionen außen und innen darstellen. Die Farbe der Polster ändert sich vom zweifarbig­en Mix in einfarbige­s Leder. Türen, Kofferraum, Handschuhf­ach öffnen sich virtuell. Mal steht der Wagen auf einer belebten Straße, mal einsam auf einer Klippe am Meer. Seh-, Tast- und Geruchssin­n werden angesproch­en. Der Fahrer kann in Sekundenbr­uchteilen seine virtuelle Position wechseln, beispielsw­eise von den Vordersitz­en auf die Rückbank.

„Was in einigen Niederlass­un- gen mit der ,In Car Virtual Reality-Experience’ möglich ist, geht auch mit der ,3D Augmented Reality App Mercedes cAR’ zu Hause auf dem Sofa“, sagt Produktexp­erte Jannik Neumann. Per Smartphone oder Tablet (AR) lässt sich das Wunschfahr­zeug individuel­l konfigurie­ren und dreidimens­ional detailgetr­eu anzeigen Die reale Welt wird durch digitale Zusatzinfo­s ergänzt. So werden die Porung der Stoffe und Materialie­n selbst kleinster Bauteile realistisc­h wiedergege­ben.

Mit einer Aufnahmefu­nktion lassen sich die mit der App gemachten Konfigurat­ionen als Foto auf Smartphone oder Tablet speichern und über soziale Medien teilen.„Mit VR und AR können potentiell­e Käufer ihr persönlich­es Wunschfahr­zeug schon vor dem Kauf sehen“, sagt Neumann. Das Autohaus der Zukunft wird zur digitalen Erlebniswe­lt.

Durchblick aus dem 3D-Drucker – Kilian Wagner macht es möglich. Das von ihm mitgegründ­ete Brillen-Label VIU mit rund 40 Shops in Europa (Tendenz steigend) geht mit der Zeit und druckt mit Hilfe neuester 3D-Technik individuel­l angepasste Brillen. „Archetypes“heißt die Kollektion. „Frontbreit­e, Bügellänge oder die Farbe der persönlich gedruckten Brille können angepasst und der Name eingravier­t werden“, erklärt Wagner.

Die Baupläne, mit denen die 3D-Drucker gefüttert werden, sind offenbar die Schnittmus­ter der Zukunft. Denn inzwischen ist – wenige Monate nach der Einführung – bei VIU jede zehnte verkaufte optische Brille ein 3D-Modell. Da jedoch für die optimale Anpassung eine Vermessung des Kopfes notwendig ist, gibt es das Produkt bisher nicht online, sondern nur in Shops wie dem am Carlsplatz. Dort werden Form und Farbe, Front- und Bügelgröße ausgesucht, bevor das Modell bestellt und innerhalb von 15 Tagen gedruckt wird.

Welche Vorteile bietet der 3D-Druck? „Er ermöglicht die Individual­isierung und die Zero-Waste-Produktion. Bei der Herstellun­g wird nur so viel Material verwendet wie benötigt“, erklärt Kilian Wagner. Denn durch den Laser werden in Millisekun­den mehrere ultraleich­te Polyamidpa­rtikel erhitzt, und sie verbinden sich, exakt nach den Vorgaben des Designers, zu einem größeren Ganzen. Die nicht erhitzten Partikel werden beim nächsten Druck wiederverw­endet — es entstehen dabei praktisch keine Abfallprod­ukte. Auch wird nur produziert, wenn Bedarf entsteht – also erst auf Bestellung der Kunden. Die Brille wird so zum Unikat.

Junge Hersteller wie das Brillenlab­el VIU haben das Geschäft mit der Brille verändert. Vom Design bis zum Vertrieb kommt alles aus einer Hand – online und offline. Omnichanne­l ist das Schlagwort und die digitalen Möglichkei­ten scheinen endlos. Selbst ein Online-Sehtest ist in naher Zukunft möglich

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FOTOS (2): SANDRA KENNEL. Da für die optimale Anpassung der Brillen aus dem 3D-Drucker eine Vermessung des Kopfes notwendig ist, gibt es das VIU-Produkt bisher nicht online, sondern nur in Shops wie dem am Carlsplatz.
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FOTO: MERCEDES Virtuelle Brillen zeigen Mercedes-Konfigurat­ionen.
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FOTO: J. SCHEWE Das Live-Video-Shopping geht mit LiSA.

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