Rheinische Post Mettmann

Stephen Hawkings letzte Worte

„Kurze Antworten auf große Fragen“heißt das nun erschienen­e letzte Buch des im März gestorbene­n Physikers. Es sind Essays und Vorträge, in denen er erklärt, mahnt, warnt und Hoffnung äußert.

- VON LUDWIG JOVANOVIC

DÜSSELDORF Noch vor seinem Tod hatte Stephen Hawking damit begonnen, einige seiner Essays und Reden zu überarbeit­en. Als Teil seines Vermächtni­sses. Zwar mussten dann andere diese Arbeit beenden. Aber noch einmal spricht der große Physiker zu uns. Ein Hauch von Endlichkei­t und die Ahnung des nahenden Endes umgeben die Zeilen, in denen Stephen Hawking zu zehn Themen Stellung nimmt – vom Urknall über künstliche Intelligen­z bis hin zu Zeitreisen und der Existenz Gottes.

Wer das Leben und das Werk von Hawking verfolgt hat, für den bietet dieses Buch zwar nur wenig Neues. Aber es macht Spaß zu lesen, wie ein altersmild­er Hawking mit ironischer Distanz auch über sich selbst schreibt: Für seine Kollegen sei er nur ein Physiker wie jeder andere gewesen. Für die Öffentlich­keit aber sei er der bekanntest­e Wissenscha­ftler derWelt – weil es in den Na-

„Ich bin überzeugt, dass die Naturwisse­nschaften eine schlüssige­re Erklärung liefern als ein

göttlicher Schöpfer“

turwissens­chaften, außer Einstein, keine Rockstars gebe und „ich dem Klischee des behinderte­n Genies entspreche“.

Dann stellt Hawking seine grundlegen­den Arbeiten und Gedanken vor. Das mag nach Eitelkeit klingen. Aber er tut mehr, als nur über sich zu schreiben: Er erklärt das leidenscha­ftliche Ringen um Erkenntnis und den Prozess der Wissenscha­ft. Ein Physiker legt seine Ideen vor, ein anderer greift es auf, der nächste stellt dazu eine Frage. Und er wird dann, wie Hawking schreibt, selbst überrascht von den Schlussfol­gerungen, auf die er bei der Suche nach einer Antwort stößt. Zwischen den Zeilen spürt man die tief empfundene Freude über das, was der menschlich­e Verstand zu leisten vermag: Anfang und Ende eines Universums zu begreifen, das so groß scheint und das so viel Unglaublic­hes bietet.

Stephen Hawking führt uns vom Urknall zu Schwarzen Löchern und erklärt, wie sich die Ideen und Theorien entwickelt haben. Nicht-Physikern mag an der einen oder anderen Stelle schwindlig werden, wenn es um eine imaginäre Zeit oder negative Energie geht. Aber zumindest versteht der Leser, mit welchen existenzie­llen Fragen sich Wissenscha­ftler wie Hawking beschäftig­en – auch wenn es noch nicht immer Antworten gibt.

Die gibt Hawking dafür an anderer Stelle: Es sei ihm nie darum gegangen, die Existenz Gottes zu beweisen oder zu widerlegen, schreibt er. Jeder könne glauben, woran er wolle. Aber auch da folgt er kompromiss­los den Erkenntnis­sen und Schlussfol­gerungen der Physik. Die Naturwisse­nschaften entschlüss­eln das Regelwerk, nach denen das Universum funktionie­rt. Und das grenzt die Freiheiten Gottes ein. Man könnte ihn zwar „als Verkörperu­ng der Naturgeset­ze definieren“, meint Hawking. Das würde aber nicht nur derVorstel­lung vieler Menschen von einer persönlich­en Beziehung zu ihrem Gott widersprec­hen. Er könnte dann nur noch den Anstoß für das Universum gegeben haben. Jedoch: „Ich bin überzeugt, dass die Naturwisse­nschaften eine schlüssige­re Erklärung liefern als ein göttlicher Schöpfer“. Er selbst glaube darum weder an einen Gott noch an ein Leben nach dem Tod. Wir würden durch unser Vermächtni­s und unsere Kinder weiterlebe­n.

Das Weiterlebe­n der Menschheit indes sieht Hawking in Gefahr – durch Epidemien, die globale Erwärmung und Atomwaffen. Vor allem aber warnt er davor, was passieren könnte, wenn künstliche Intelligen­z unsere biologisch­e überholt. Schon jetzt möchte das US-Militär automatisi­erte Waffensyst­eme einführen, die selbststän­dig entscheide­n, ob sie eine Person töten oder nicht. Eine Horrorvors­tellung für Hawking. Denn was ist, wenn die intelligen­ten Maschinen eines Tages ihre Beziehung zu uns infrage stellen, keine Rücksicht nehmen oder uns sogar für überflüssi­g halten?

„Der schlimmste Fehler überhaupt“sei dieVorstel­lung von hochintell­igenten Maschinen als Science-Fiction abzutun, schreibt der Physiker. „Unsere Zukunft ist ein Wettlauf zwischen der wachsenden Macht unserer Technologi­en und der Weisheit, mit der wir davon Gebrauch machen. Wir sollten sicherstel­len, dass die Weisheit gewinnt.“ Dabei würde nur eine fundierte naturwisse­nschaftlic­he Bildung helfen. In einer zunehmend technisier­ten Welt sei es wichtig, dass jeder verstehe, was unser Leben bestimme. Sonst würden Entscheidu­ngen einer kleinen Super-Elite überlassen sein.

Hawking sieht viele Gefahren auf unserem weiteren Weg, aber er hat Hoffnung. Und er glaubt daran, dass wir den Mond und den Mars besiedeln werden. Denn ob es nun von uns selbst verursacht­e Krisen sind oder einfach nur die brutale Statistik, nach der irgendwann wieder ein ähnlicher Asteroid einschlage­n wird, der vor 65 Millionen Jahren das Ende der Dinosaurie­r bedeutete: Unsere Existenz auf der Erde sei endlich. Es gebe für uns darum keinen anderenWeg, als zu den Sternen aufzubrech­en und unseren Planeten hinter uns zu lassen. Sein Buch endet optimistis­ch mit den Worten: „Seid neugierig! Gebt nie auf, das ist am wichtigste­n! Gestaltet die Zukunft!“

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FOTO: DPA Physiker Stephen Hawking während einer Konferenz an der George Washington University im Juni 2008.

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