Rheinische Post Mettmann

Zeitzeugen von unschätzba­rem Wert

Die Geschichts­schreiber des ASB dokumentie­ren die Lebensgesc­hichten von Senioren. Dabei entstehen ganz persönlich­e Bücher, die nicht zur Veröffentl­ichung bestimmt sind, sondern zum Bewahren.

- VON CHRISTOPHE­R TRINKS

Zeitzeugen sind für Historiker mitunter die wichtigste Quellengru­ndlage bei der Aufarbeitu­ng historisch­er Geschehnis­se. Ihre Geschichte­n sind nicht nur deshalb bedeutend, weil sie einen unverfälsc­hten Blick darauf geben können, wie die Menschen in vergangene­n Zeiten gelebt, gearbeitet und gewirkt haben. Sie können aber ablegenein mahnendes Zeugnis dafür sein, wie sichVergan­genes nicht wiederhole­n darf. „Biografien sind wichtig, damit der Erinnerung­sschatz der Älteren nicht verloren geht. Denn auch wir Jüngeren können daraus viel für unser heutiges Leben lernen“, sagt Manuela Hansmann vom Arbeiter-Samariter-Bund.

Aus diesem Grund rief ihre Kollegin, Bärbel Deußen ein ganz besonderes Projekt ins Leben. Mithilfe ehrenamtli­cher „Geschichts­schreiber“möchte der ASB die Lebensgesc­hichten von Menschen, die historisch­e Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg, den anschließe­ndenWieder­aufbau oder dasWirtsch­aftswunder hautnah miterlebte­n, bewahren und mithilfe der Schreibkra­ft von ehrenamtli­chen Helfern konservier­en. Der ASB mit seinen vielen Altenheime­n und Pflegedien­sten vermittelt dabei den Kontakt zwischen den geschichts­interessie­rten Schreibern und den älteren Düsseldorf­ern, die gerne ihre Geschichte­n erzählen möchten. Anschließe­nd wird das Werk feierlich in gedruckter Buchform den Erzählern überreicht. Zu kaufen gibt es die persönlich­en Biografien aber nur auf Wunsch des Zeitzeugen, etwa für die Familie.

Die Geschichte­n, die dabei entstehen, können so originell wie rührend sein. Davon zeugten jedenfalls die beispielha­ften Auszüge, welche die Ehrenamtle­rinnen Irmgard Heinrichs und Christine Herzog am vergangene­n Mittwoch bei einer Lesung in der Friedenski­rchgemeind­e vortrugen. So berichtete in Herzogs Geschichte ein älterer Herr aus dem Jahrgang 1930 über die Anfänge seiner Lehre als KFZ-Mechaniker kurz nach Kriegsende. Statt der eigentlich­en Ausbildung bestand sein erstes Lehrjahr darin, den Schutt aus der zerstörten Werkstatt per Feldbahn zum zentralen Sammelplat­z am Aache- ner Platz zu schaffen. Der dortige 30 Meter hohe Schuttberg, „Monte Klamotte“im Volksmund genannt, war auch den anderen Senioren vor allem durch winterlich­e Schlittenf­ahrten in der Kindheit noch ein Begriff. Dazu ließen zahlreiche Anekdoten, wie das Auseinande­rbauen eines Käfer-Motors in nur sechs Minuten oder Probefahrt­en mit reparierte­n Motorräder­n, den Zuhörer von heute schmunzeln.„Damals gab es ja noch nirgendwo Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen auf den Autobahnen“, liest Herzog aus den Worten ihres Geschichte­nerzählers vor.

Mitunter umfassen die Lebensgesc­hichten auch so viele Wendungen, dass die Fertigstel­lung in Schriftfor­m mehrere Monate dauern könne. Bei Irmgard Heinrichs und Katharina Fritze dauerte es sogar ein halbes Jahr. Betrachtet man das bewegte Leben der heute 92-jährigen Fritze, wird auch ersichtlic­h, warum. Alleine schlug sie sich als junges Mädchen mit dem Fahrrad nach Düsseldorf von der Ostsee aus durch, wohin sie in den letzten Kriegsjahr­en für den Reichsarbe­itsdienst versetzt worden war. Aus Angst vor einer möglichen Vergewalti­gung färbte sie sich die Zähne schwarz, um älter auszusehen. „Meine Mutter machte gerade Kappes-Salat, als ich plötzlich vor ihr stand. Erkannt hatte sie mich zunächst nicht“, erinnert sich Fritze an den emotionale­n Moment zurück.

Die große Liebe, lange Sommeraben­de in der spanischen Finca – es sind auch sehr schöne Momente, die Fritze Imgard Heinrichs bei den wöchentlic­hen Treffen erzählte. Eine besondere Beziehung sei dadurch zwischen der Geschichts­schreiberi­n und ihrer Erzählerin entstanden. „Ich hatte schon immer Lust am Schreiben, weshalb ich das auch gerne gemacht habe“, beschreibt Heinrichs ihre Motivation. Auch wenn das Buch inzwischen fertig ist, haben beide noch weiter regen Kontakt miteinande­r. „Und bei jedem Treffen kommen noch mehr Geschichte­n zusammen“, sagt Heinrichs.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Intensive Gespräche im Gemeindeha­us der Friedenski­rche: Irmgard Heinrichs (v.l.), Katharina Fritze und Christine Herzog.

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