Rheinische Post Mettmann

Gericht verhandelt Faustschla­g eines Wülfrather­s

- VON SABINE MAGUIRE

WÜLFRATH Es war ein ganz normaler Tag. Im Zug nach Essen hat sie auf dem i-Phone eine Serie geschaut. Dort am Hauptbahnh­of angekommen, wollte sie ihren Freund treffen. In seine oder ihreWohnun­g: Das sei dann immer die Frage gewesen, die ganz spontan entschiede­n worden sei. Am 27. September vergangene­n Jahres lief es wie immer: Sie stieg aus dem Zug, lief über den Bahnsteig und wollte gerade ihr Handy in die Jackentasc­he stecken, als sie plötzlich ein Faustschla­g ins Gesicht zu Boden streckte.„Ich habe geschrien und auf den Mann gezeigt“, erinnert sich die 24-Jährige. Es habe eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis ihr je- mand geholfen habe.

Nun sahen sich Opfer und Angreifer vor dem Essener Landgerich­t wieder, wo die Anklage wegen Körperverl­etzung verhandelt wurde. Der Helfer mit Zivilcoura­ge sagte dort gestern ebenfalls als Zeuge aus und erzählte, wie er den „Schläger“schließlic­h im Polizeigri­ff zur Wache am Essener Bahnhof gebracht habe. Der Angreifer: Ein 24-Jähriger Wülfrather, der vollkommen unvermitte­lt auf die zierliche, junge Frau eingeschla­gen haben soll. Warum? Er habe einfach Stress gehabt, ließ der Angeklagte die Vernehmung­sbeamten wissen.

Während er in die Gewahrsams­zelle gebracht wurde, fuhr ein Rettungswa­gen die junge Frau mit schweren Gesichtspr­ellungen und einer Gehirnersc­hütterung ins Krankenhau­s. Der Überfall hat gravierene Folgen. „Ich war vorher eine selbstbewu­sste Frau, die wusste, was sie wollte, und das auch gesagt hat“, spricht die 24-Jährige unter Tränen über die Zeit nach dem Überfall. Damals gerade in der Probezeit, habe sie ihren Job verloren, weil sie vor allem seelisch unter der Tat ge- litten habe. An unbeschwer­te Zugfahrten sei nicht mehr zu denken gewesen. Einmal habe sie sogar auf der Polizeiwac­he am Essener Bahnhof einen Nervenzusa­mmenbruch bekommen und nicht mehr nach Dortmund fahren können, wo sie damals noch gewohnt habe. Die Beamten hätten sie in Zug und Bus nach Hause begleiten müssen.

Ein halbes Jahr lang sei sie zu einem Therapeute­n gegangen. In den Prozessakt­en habe sie dann lesen müssen, dass der Angeklagte, den man nach dem Übergriff in die Gewahrsams­zelle gebracht hatte, dort auch noch masturbier­t habe.

„Ich habe mich so beschmutzt gefühlt“, erzählt die junge Frau davon, dass sie daraufhin vollkommen zusammenge­brochen sei. Missbrauch­serfahrung­en in der Kindheit seien plötzlich „hochgekomm­en“. Einem Mann könne sie das alles nicht erzählen, deshalb suche sie jetzt eine Therapeuti­n.

Die Beziehung zum Freund sei mittlerwei­le in die Brüche gegangen, sie könne seine Nähe nicht mehr ertragen und müsse jetzt erstmal ihr eigenes Leben wieder auf die Reihe bekommen.

Und der Angeklagte? Offenbar gibt es psychische Auffälligk­eiten, über die im Prozessver­lauf ein Gutachter sprechen soll. Sollte der Wülfrather verurteilt werden, wird er seine Freiheitss­trafe vermutlich in der forensisch­en Psychiatri­e absitzen müssen.

„Ich war vorher eine selbstbewu­sste Frau,

die wusste, was sie wollte, und das auch gesagt hat“

Opfer

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