Rheinische Post Mettmann

Lkw im Stau stoßen am meisten Stickoxide aus

Die Debatte über Diesel-Pkw führt in die Irre. Das größere Problem für die Luft in Innenstädt­en sind Laster und Busse.

- VON RAINER KURLEMANN

JÜLICH Als Franz Rohrer vor 24 Jahren am Forschungs­zentrum Jülich die Leitung der Gruppe Stickoxidc­hemie übernahm, hatte der Drei-Wege-Katalysato­r gerade seinen festen Platz in der Auspuffanl­age der Autos gefunden. Im Jahr 1993 machte die EU die Abgasfilte­r bei allen neuen Fahrzeugen zur Pflicht. Damit wurde offiziell anerkannt, dass Schadstoff­e aus dem Auspuff Menschen krank machen können und deshalb reguliert werden müssen. Das Thema Luftversch­mutzung durch Autoabgase hat den Atmosphäre­nchemiker trotzdem nicht losgelasse­n. Heute stehen die Stickoxide wieder im Mit-

„In der Innenstadt fährt ein Lkw nur wenig, aber er emittiert viel“

Franz Rohrer Atmosphäre­nchemiker

telpunkt. Autoherste­ller schummeln bei der Abgassoftw­are der Dieselmoto­ren, Gerichte verhandeln über Fahrverbot­e, Städte müssen bessere Pläne zur Luftreinha­ltung entwickeln. Die Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub werden vielerorts regelmäßig überschrit­ten.

Deshalb verfolgt Franz Rohrer die Diskussion um Nachrüstun­g oder Umtauschpr­ämien für Diesel-Pkw mitVerwund­erung, denn er zweifelt daran, dass sie so wirksam sind wie erhofft. „Dazu muss man sich nur anschauen, woher die Stickoxide in deutschen Innenstädt­en stammen“, sagt Rohrer. Der Forscher schlägt auf wissenscha­ftlicher Basis eine andere Strategie vor, um die Luftqualit­ät in den Innenstädt­en zu verbessern. „Die Lkw-Flotte, Kleintrans­porter und Busse emittieren — so wie sie heute unterwegs sind — mehr als 50 Prozent der Stickoxide in deutschen Innenstädt­en“, berichtet der Wissenscha­ftler aus seinen Ergebnisse­n. Die Einsparmög­lichkeiten seien dort deswegen viel größer als im Bereich der Diesel-Pkw, die nur ein Drittel der Emissionen verursache­n.

Die Forscher am FZ Jülich verfügen über eine umfangreic­he Datenbank mit Messwerten. Keine verfälscht­en Daten, wie sie an den Prüfstände­n ermittelt wurden. Teils messen dieWissens­chaftler mit Spezialfah­rzeugen die Abgase direkt im fließenden Verkehr. Teils übernehmen sie Messwerte von anderen Forschern, die Fahrzeuge unter realen Bedingunge­n messen, etwa am Institut für Verbrennun­gskraftmas­chinen und Thermodyna­mik der TU Graz. „Das Institut in Graz wusste schon seit zehn Jahren, dass bei Diesel-Pkw die Grenzwerte nicht eingehalte­n werden,“berichtet Rohrer. Aber kaum jemand habe auf deren Veröffentl­ichungen reagiert.

Rohrers Blick auf diese Daten offenbart, dass die Abgaswerte eines Fahrzeugs während der Fahrt kei- neswegs konstant sind, sondern von vielen Faktoren abhängen. Im Winter emittieren Pkw beispielsw­eise sehr viel mehr Stickoxide als im Sommer. Zudem zeigen Labor-Untersuchu­ngen, wie sich die Abgase verändern, wenn ein Pkw oder ein Lkw mit 20, 30 oder mit 50 Stundenkil­ometern unterwegs ist oder wenn das Fahrzeug beschleuni­gt.

Verknüpft man diese Erkenntnis­se mit Daten über dieVerkehr­sdichte und über die Art der Fahrzeuge lässt sich sehr gut berechnen, wie viel Stickoxide auf einem bestimmten Straßenabs­chnitt oder während einer Fahrt durch die Stadt emittiert werden. Diese Berechnung­en haben die Lkw, Busse und Kleintrans­porter in das Blickfeld des Atmosphäre­nforscher gerückt.

„In der Innenstadt fährt ein Lkw nur wenig, aber er emittiert viel“, sagt Rohrer. In Zahlen: Bei 25 Stundenkil­ometer stößt ein Lkw in der Innenstadt fünfmal mehr Stickoxide aus als im Mittel auf der Autobahn. Anders als bei den Pkw gibt es bei den Nutzfahrze­ugen keine Schummelei­en mit während der Fahrt abgeschalt­eter Software. Der Diesel-Skandal betrifft diese Fahrzeugkl­asse vermutlich nicht. Die SCR-Katalysato­ren, die die Stick- oxide abfangen, funktionie­ren bei den Lkw im Normalbetr­ieb – aber eben nicht immer. „Das gilt nur, wenn ständig eine große Motorleist­ung abgeforder­t wird, wie es auf der Autobahn der Fall ist“, erklärt Rohrer. Dann ist der Abgasstran­g unter dem Lkw sehr warm und die SCRKats arbeiten zuverlässi­g.

Doch in anderen Situatione­n unterliege­n die Katalysato­ren den Gesetzen der Physik. „Die Lkw-Flotte ist zu 90 Prozent noch Euro 5 und diese Fahrzeuge haben fast alle ein Temperatur­problem“, erklärt Rohrer. Im Stop-and-Go der Innenstadt kühlen die Katalysato­ren ab und verlieren dadurch ihre Wirkung. Der Verkehr wartet vor roten Ampeln, Busse stoppen an Haltestell­en, Müllfahrze­uge halten an Mülltonnen. „Dann kommen Sie schnell darauf, dass Lkw und Busse in der Innenstadt eine dominante Rolle spielen“, ergänzt er. Rohrer hat seine Ergebnisse vor zwei Jahren veröffentl­icht, aber sie sind heute noch aktuell. Die Studie habe in Kollegenkr­eisen für Aufregung gesorgt, aber sonst sei nichts passiert, berichtet er.

Eine mögliche Lösung wäre die Nachrüstug der Katalysato­ren mit einer

elektrisch­en Heizung

Dabei gibt es bereits eine mögliche Lösung für das Problem: Die Nachrüstun­g der bestehende­n Katalysato­ren in Lkw und Bussen mit einer elektrisch­en Heizung. Dadurch könnte eine ausreichen­d hohe Temperatur am Katalysato­r für eine gute Abgasreini­gung sichergest­ellt werden. Warum dieser Vorschlag nicht umgesetzt wird, mag Rohrer nicht kommentier­en. Vielleicht hilft der Blick zurück: Auch in den 1990er Jahren waren viele Gegner der Katalysato­rpflicht davon überzeugt, dass Autos dadurch erheblich teurer werden und die ganze Branche Schaden nimmt.

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FOTO: DPA Das schlimmste Szenario für die Umwelt: Beim Stop-and-go in verstopfte­n Innenstädt­en stoßen vor allem Lkw viel Stickoxid aus.

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