Cambridge 5 – Zeit der Verräter
Aileen war absolut skandalfrei und damit das perfekte Alibi für einen Mann, der demonstrieren wollte, dass er – nach jugendlichen Irrungen und Wirrungen – immer stärker nach rechts tendierte. Sie bot die Fassade für eine neue Karriere.
Flora Solomon machte die beiden ausgerechnet am 3. September 1939 miteinander bekannt, an dem Tag, an dem Großbritannien Deutschland den Krieg erklärte. Es war, wie Philby später verbittert anmerkte, ein Tag, „der für die Welt und für mich persönlich desaströs war“. Obwohl Philby zu dieser Zeit noch verheiratet war, wurde Aileen in der gleichen Nacht seine Geliebte. Sie war fügsam und wohlerzogen, genau die richtige Frau, mit der man Kinder bekam. Es wurden fünf: John, Josephine, Tommy, Miranda und Harry.
In seiner Autobiografie erwähnt Philby seine Kinder kein einziges Mal. Das ist nicht unbedingt ungewöhnlich, in seiner Generation redete man nur selten über Privates. Trotzdem verwirrt diese völlige Ausblendung seiner Familienverhältnisse den Leser. Wenn Philby zum Beispiel in seinen Memoiren davon spricht, er habe trotz finanzieller Engpässe ein größeres Haus mieten müssen, ist nicht ganz klar, warum (wegen der fünf Kinder hatte er ständige Platz- und Geldprobleme).
Auch seine Ehefrauen spielen in der Autobiografie eine untergeordnete Rolle, und er „vergisst“sogar seine dritte Ehefrau Eleanor zu erwähnen, ganz zu schweigen natürlich von den unzähligen Geliebten, die er im Laufe der Jahre ansammelte.
Aber auch wenn Ehefrau Num- mer zwei, Aileen Furse, in den Hintergrund geraten ist, so war sie doch auf ihre Art ungewöhnlich. Es war überraschend mutig von einer konservativen Frau wie Aileen, mit einem Mann zusammenzuziehen, der noch verheiratet war. Noch mutiger war es, mit ihm uneheliche Kinder zu bekommen. Als er sie 1946 endlich heiratete, war sie gerade mit dem vierten Kind schwanger. Warum ein Mann auf Abruf, der ständig damit rechnen musste, enttarnt zu werden, fünf Kinder in die Welt setzte, ist schwer nachzuvollziehen. Selbst die mütterliche Freundin der Philbys, Flora Solomon, schien über die vielen Schwangerschaften Aileens verwundert.
In ihren Augen war Aileen eine fragile Frau, für die die physischen und psychischen Belastungen einer Großfamilie zu viel waren. Dass Aileen am Ende mit diesen Herausforderungen tatsächlich nicht zurechtkam, wurde von allen Biografen als Erklärung für ihren Niedergang gesehen. Sie beschrieben Philbys zweite Ehefrau als latent hysterisch. Ob Aileen wirklich von Anfang an hysterisch war oder ob das Leben mit Philby sie dazu machte, ist im Nachhinein schwer zu beurteilen. Das Zusammenleben mit einem Mann wie Kim Philby hätte wahrscheinlich auch die stabilste Frau an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht.
Philby hatte zweiVollzeitbeschäftigungen und musste folglich doppelt so viel arbeiten. Gleichzeitig hielt er einen Teil seiner Arbeit vor Aileen geheim. Nach Kriegsausbruch teilte er ihr lediglich mit, er habe wichtige Arbeiten für das Foreign Office zu erledigen. Damit erklärte er jahrelang seine Abwesenheiten, sein nächtliches Verschwinden und andere merkwürdige Begebenheiten. Aber in Aileens Augen erklärte das nicht seine permanente Angespanntheit. Für die Außenwelt überspielte er sie, doch seine innere Unruhe wurde für Aileen früh sichtbar.Während die zahlreichen Besucher der Philbys den unterhaltsamen Gastgeber genossen, kamen Aileen im Laufe der Jahre immer mehr Zweifel.
Philbys russischer Führungsoffizier Modin schrieb in seinen Memoiren, dass Aileen nichts von der Arbeit ihres Mannes für die Sowjetunion gewusst habe. Aber sie muss zumindest etwas geahnt haben. Sie war besonders eifersüchtig auf die enge Beziehung zwischen Kim und Guy Burgess. Sie spürte, dass Burgess nicht irgendein Freund war, sondern der Seelenverwandte ihres Mannes. In ihren Augen war Burgess eine große Gefahr, und sie würde recht behalten.
Den Burgess-Teil würde Wera noch genauer recherchieren müssen, aber mit dem Frauenkapitel war sie zufrieden. Sie versuchte sich jetzt auf das Bibliotheksbuch vor ihr zu konzentrieren. Es war gerade erst erschienen und hatte den Titel „A Spy amongst friends“. Der Autor listete darin all die alkoholischen Abstürze der Cambridgegruppe auf. Tatsächlich war es verblüffend, welche Mengen an Alkohol Philby und seine Freunde ununterbrochen konsumiert hatten. Zu jeder Tageszeit wurde getrunken, es war, als ob diese Leute in einem permanenten Rausch lebten.Vielleicht erklärte sich das aus der nervösen Anspannung der Kriegsjahre heraus, in der man Betäubungsmittel jeder Art brauchte, um den nächsten Bombenangriff zu überstehen. Oder es war das Leben als Spion, die ständige Angst, entdeckt zu werden, die sie zur Flasche greifen ließ. Niemand schien an die Folgen zu denken, die Möglichkeiten, im Suff alles auszuplaudern, und natürlich die Leberzirrhose.
Wera hatte bereits achtzig Seiten gelesen, als mit einem Mal David vor ihr stand. Sie versuchte ruhig zu bleiben. Ohne aufzusehen, sagte sie:
„Kim Philby hat nicht nur sein Land verraten, er hat all seine Freunde permanent hintergangen. Es muss bei ihm chronisch gewesen sein. Man könnte es Betrugskrankheit nennen.“
„Können wir reden, Wera . . .“„Er sah es sicher als ein Spiel, so eine Art Adrenalinstoß. Egal, wer und was – Hauptsache betrogen.“
David unterbrach sie: „Das mit Polina ist vorbei.“
Sie ignorierte ihn. „Und jede seiner Ehefrauen hat fest an ihn geglaubt, man muss sich das mal vorstellen, sie haben ihn trotzdem geliebt.“
„Wera .“
„Aber ihm war das natürlich egal. Er hatte nur eine Liebe – zum Kommunismus. Alles andere war sexueller Stressabbau.“
„Hör auf, Wera.“
„Der Mann war tragisch, sicher aber noch tragischer war, was er mit anderen machte.“
„Ich wollte dich nicht hineinziehen in all meine Probleme – das Ende mit Polina, mein Vater, alles, was im Moment in meinem Leben schiefläuft.“
Sie sah jetzt zu ihm auf, sie war so wütend, dass sie ihre Stimme nicht mehr unter Kontrolle halten konnte.