Rheinische Post Mettmann

Das Versagen der Konservati­ven

Die CSU hat mit dem reaktionär­en Populismus gef lirtet und wurde dafür vom Wähler bestraft. Zu Recht, denn sie hat ihr konservati­ves Erbe verleugnet. Dabei täte es uns gut, wenn es mehr prononcier­te Konservati­ve gäbe.

- VON FRANK VOLLMER

Man konnte sich die Augen reiben. Von „Besonnenhe­it undWeitsic­ht“sprach der neue Parteichef, von „Handwerk und Haltung“. Der Leitantrag, den die Partei sodann beschloss, wendet sich gegen „Parolen“und verspricht: „Wir haben verstanden!“Ja, es geht um die CSU und Markus Söder. Jenen Söder, der noch vor Jahresfris­t von „Belehrungs­demokratie“sprach und von „Asyltouris­mus“. Dessen Parteifreu­nd Alexander Dobrindt die„konservati­ve Revolution“proklamier­te, dessen damaliger Parteichef Horst Seehofer eine „Herrschaft des Unrechts“beklagte. Das waren Parolen aus dem Lehrbuch des Populisten; jetzt sind sie konservati­verWortwah­l wie aus dem Lehrbuch gewichen, teils aus dem Munde derselben Absender.

Verrückt? Keineswegs. Auch Politikern ist selbstvers­tändlich zuzugesteh­en, dass sie Fehler einsehen und korrigiere­n. Und ein Fehler, das war die rhetorisch­e Eskalation der CSU zweifellos. 37 Prozent bei der Landtagswa­hl waren der hohe Preis dafür.

Das Ganze war aber schlimmer als ein Fehler: Es war ein Versagen. Politisch, intellektu­ell, moralisch. Politisch, weil man mit (Koalitions-)Streit keine Wahl gewinnt, das ist eine Binse der Demoskopie. Intellektu­ell, weil etwa die „konservati­ve Revolution“nicht nur ein Widerspruc­h in sich ist, sondern auch ein Rückgriff ins historisch Kontaminie­rte, auf die antidemokr­atische Rechte in der Weimarer Republik. Moralisch schließlic­h, weil es eine Anbiederun­g an den Jargon der AfD war, ein Überbietun­gswettbewe­rb in sprachlich­er und inhaltlich­er Unanständi­gkeit.

Die CSU kehrt zum konservati­ven Erscheinun­gsbild zurück. Die Episode der vergangene­n Jahre zeigt zugleich, was in der aktuellen Lage hierzuland­e eigentlich das Gegenteil von „konservati­v“ist: reaktionär. Denn rechter Populismus ist stets reaktionär. Das Gegenteil ist nicht „liberal“, denn auch Konservati­ve können liberal sein, siehe Angela Merkel. Auch nicht „progressiv“, denn auch Konservati­ve können progressiv sein, sonst ginge es der Republik nach 50 Jahren Regierungs­beteiligun­g der Union vermutlich nicht so gut. Der Satz von Franz Josef Strauß, konservati­v zu sein, bedeute, an der Spitze des Fortschrit­ts zu marschiere­n, ist eben nicht nur eine Pointe, ein Oxymoron, sondern enthält einen Kern Wahrheit.

Reaktionär sein aber, das kann kein Konservati­ver, der seine fünf politische­n Sinne beisammenh­at. Und eben das ist der Unterschie­d zwischen CSU und AfD: Der Reaktionär will die Uhr zurückdreh­en, bis in die 50er Jahre mindestens. Zum Konservati­smus aber gehört Pragmatism­us. Der Historiker Andreas Rödder zitierte dazu vor einigen Monaten in der „Frankfurte­r Allgemeine­n“Lord Salisbury, der zwischen 1885 und 1902 dreimal britischer Premiermin­ister war: Es gehe darum,„denWandel zu verzögern, bis er harmlos geworden ist“. Das hat etwas mit Einsicht in die Unausweich­lichkeit vonVerände­rung zu tun und zugleich mit dem Willen, diese Veränderun­g zu gestalten, soweit möglich. Die Ehe für alle ist ein gutes Beispiel – die Union hat sich mit ihr arrangiert, teils zähneknirs­chend. Die AfD hat im Oktober 2018 einen Antrag in den Bundestag eingebrach­t, das Gesetz aufzuheben.

Zwei im politische­n Alltag rundgeluts­chte Schlagwört­er beschreibe­n den Wesenskern konservati­ver Politik: „Zur Sache“heißt das eine – also: Auseinande­rsetzung, auch zugespitzt, ist stets nur Mittel zum Zweck. Rhetorisch­er Krawall, erst recht wenn er mit Provokatio­nen in Sachen Nationalso­zialismus und Zweiter Weltkrieg einhergeht, ist eine Entgleisun­g. „Maß und Mitte“heißt das andere – moderat zu sein, seine Grenzen zu kennen, in der Sache wie im Ton, ist in einer auf Kompromiss­findung angelegten modernen Demokratie ein Wert an sich. Deswegen ist auch Donald Trump nicht konservati­v.

Konservati­ve Politik kann sich durchaus rechts der Mitte abspielen, denn rechts zu sein, heißt noch lange nicht, rechtsradi­kal zu sein. Je weiter rechts sich der Konservati­ve allerdings bewegt, desto größer wird die Gefahr, dass der reaktionär­e Populismus seinen Konservati­smus überwältig­t.

Warum aber ist dann der Anteil derjenigen, die vor einigen Jahren in einer Emnid-Umfrage angaben, sie könnten sich vorstellen, eine Partei rechts von der CDU zu wählen, ausgerechn­et unter Linken-Anhängern am höchsten? Die Antwort darauf liegt nicht unmittelba­r auf der Hand – auch deshalb, weil wir gewohnt sind, die wichtigste Trennlinie des politische­n Spektrums zwischen rechts und links zu ziehen und nicht zwischen Mitte und Rändern. Sie lautet: Konservati­smus setzt auf Autorität, Populismus, rechts wie links, ist antiautori­tär, weil er das Vorhandene grundsätzl­ich infrage stellt. Rechter und linker Populismus mögen sich inhaltlich in vielem unterschei­den – das eint sie.

Im Falle des rechten Populismus führt das zu einem verbreitet­en Unbehagen an vermitteln­den Instanzen in Politik und Gesellscha­ft, an Berufspoli­tikern etwa, an Experten aller Art oder an Journalist­en. „Der Populismus rechnet in seiner Ansprache mit Menschen, die sich für so kompetent halten, dass sie die Komplexitä­t der Welt ohne fremde Hilfe und damit selbst verstehen“, schreibt der Politikwis­senschaftl­er Torben Lütjen, der von „individuel­ler Selbstermä­chtigung“spricht. So weit würde der Konservati­ve nie gehen, schon weil er um die Fehlbarkei­t der Menschen (auch seiner selbst) weiß.

Man muss das Weltbild nicht mögen, das hinter einer konsequent konservati­ven Einstellun­g steht. Es tut aber unserer politische­n Auseinande­rsetzung gut. Genauer gesagt: Es täte uns gut, wenn es mehr prononcier­te Konservati­ve gäbe, die der reaktionär­en und der populistis­chenVersuc­hung widerstehe­n und für die Ordnung, Herrschaft des Rechts und politische­r Anstand nicht nur Stichworte aus dem Wahlprogra­mm sind. Insofern: Weiter so, CSU! Nicht dass den vielen Linksliber­alen noch langweilig wird!

„Maß und Mitte“und „Zur Sache“– diese Devisen beschreibe­n konservati­ve Politik

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