Rheinische Post Mettmann

Steigende Zinsen rücken in weite Ferne

Die Europäisch­e Zentralban­k deutet eine weitere Lockerung ihrer Geldpoliti­k an. Ihr ist die Inflations­rate noch zu niedrig. Ökonomen begrüßen die Politik, die Banken kritisiere­n die Risiken. Der scheidende EZB-Präsident

- VON BRIGITTE SCHOLTES

FRANKFURT Noch ist die geldpoliti­sche Lockerung aufgeschob­en. Aber im September dürfte es so weit sein. Dann plant die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) ein ganzes Paket an Maßnahmen. „Wir mögen nicht, was wir da sehen“, sagte EZB-Präsident Mario Draghi und verwies auf die immer noch niedrige Preissteig­erungsrate. Zuletzt hatte die im Euroraum bei 1,3 Prozent gelegen. Die EZB definiert Preisstabi­lität – ihr wichtigste­s geldpoliti­sches Ziel – bei einer mittelfris­tigen Inflations­rate von unter, aber nahe zwei Prozent. Doch die Inflation dürfte nicht zulegen, wenn die Konjunktur­aussichten sich weiter eintrüben. Und darauf weisen die aktuellen Daten hin. Der Ifo-Index ist gesunken, die Handelskon­flikte schwelen weiter, die Gefahr eines harten Brexit ist wieder größer geworden.

Die EZB ist entschloss­en zu handeln. Sie könnte beispielsw­eise den Einlagenzi­nssatz senken oder ein neues Anleihekau­fprogramm starten. Die Geldpoliti­k habe viel getan, um den Euroraum zu unterstütz­en, sagte Draghi, und sie tue das auch weiterhin. „Aber wenn die Aussichten weiter so schlecht bleiben, kommt es auf die Haushaltsp­olitik der Mitgliedss­taaten an“, mahnte er. Gemeint hat er deutlich Deutschlan­d und Italien, die durch ihre Haushaltsp­olitik die Risiken abfedern sollten. Denn beide Länder spüren die Abschwächu­ng in der Industrie schon jetzt deutlich.

Höhere Strafzinse­n auf Einlagen der EZB treffen zunächst die Banken im Euroraum; allein die deutschen Geldhäuser haben im vergangene­n Jahr 2,4 Milliarden Euro an Strafzinse­n an die Zentralban­k gezahlt, Geld, dass sie lieber anderweiti­g investiere­n würden. Deshalb will der EZB-Rat auch Optionen prüfen, wie durch einen Stufenzins­satz die Auswirkung­en auf die Banken abgemilder­t werden könnten. „Das Geboren am 3. September 1947 in Rom

Notenbank-Karriere Von 2006 bis 2011 war Draghi Präsident der italienisc­hen Notenbank. Seit dem 1. November 2011 steht er an der Spitze der EZB.

Privat Draghi ist verheirate­t und hat zwei Kinder. wird die Akzeptanz der Geldpoliti­k erhöhen“, meint Uwe Burkert, Chefvolksw­irt der Landesbank Baden-Württember­g. „Die wirtschaft­liche Abschwächu­ng im Euroraum lässt der EZB keine andere Wahl, als eine noch expansiver­e Geldpoliti­k umzusetzen“, meint Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung.

Christian Ossig, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands deutscher Banken, verweist dagegen auf die Risiken und Nebenwirku­ngen der extrem lockeren Geldpoliti­k. Die würden weiter zunehmen. Doch die meisten Beobachter sind nach dieser Ratssitzun­g der EZB sicher, dass die Zinsen auf lange Zeit niedrig bleiben werden. Für Sparer bedeutet das: Wer Rendite erzielen will, muss ins Risiko gehen. Risikolose Anlagemögl­ichkeiten wie Tagesund Festgeld oder deutsche Staatsanle­ihen werden nach Abzug der Inflations­rate das reale Vermögen auf den Konten schmelzen lassen. Doch das nimmt die EZB in Kauf. Ihr ist wichtiger, das machte Draghi am Donnerstag nochmals deutlich, dass mehr Menschen Arbeit haben. Denn die niedrigen Zinsen und die lockere Geldpoliti­k bedeuteten auch, dass sich Konsumente­n billiger verschulde­n könnten, dass Immobilien­kredite „extrem günstig“geworden seien, dass aber auch Unternehme­n sich sehr günstig finanziere­n könnten, sagte der Chefvolksw­irt der ING Deutschlan­d, Carsten Brzeski.

Das dürfte nach dem Ende von Draghis Amtszeit Ende Oktober so bleiben, wenn seine designiert­e Nachfolger­in Christine Lagarde ihr Amt antritt. Deren Bestellung begrüßte der EZB-Rat gestern. Sie werde eine herausrage­nde Präsidenti­n sein, erklärte Draghi. Gefragt, ob er ihr Nachfolger an der Spitze des Internatio­nalen Währungsfo­nds werden wolle, winkte er ab. Dafür stehe er nicht zur Verfügung, sagte der Italiener.

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FOTO: DPA Mario Draghi

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