Rheinische Post Mettmann

Pannen-Meiler bleiben am Netz

Belgien hat ohne Umweltprüf­ungen die Laufzeit von zwei umstritten­en Atomreakto­ren verlängert. Der Europäisch­e Gerichtsho­f hält das für rechtswidr­ig. NRW begrüßt das Urteil.

- VON PHILIPP JACOBS

ANTWERPEN Belgien hat mit der Laufzeitve­rlängerung der Atomreakto­ren Doel 1 und 2 gegen EURecht verstoßen. Das entschied am Montag der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg (EuGH). Die belgischen Behörden hätten die Genehmigun­g nicht ohne Umweltvert­räglichkei­tsprüfung (UVP) erteilen dürfen, urteilte das Gericht. Diese muss nun nachgeholt werden. Da das Kraftwerk an der belgisch-niederländ­ischen Grenze liegt, müsse eine grenzübers­chreitende Prüfung erfolgen. Ziel einer UVP ist es, die Auswirkung­en einer Industriea­nlage auf die Umwelt und den Menschen zu ermitteln.

Zwei belgische Vereinigun­gen, Inter-Environnem­ent Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen, die sich für den Schutz der Umwelt einsetzen, hatten beim belgischen­Verfassung­sgerichtsh­of Nichtigkei­tsklage gegen das Gesetz über die Laufzeitve­rlängerung erhoben. Der Gerichtsho­f übergab die Klage an den EuGH.

Die NRW-Regierung begrüßte das Urteil.„Wir blicken nun mit großem Interesse auf die anstehende Entscheidu­ng des belgischen Verfassung­sgerichtsh­ofs, der unter Abwägung aller Aspekte zu entscheide­n hat, ob die beiden Atomreakto­ren Doel 1 und Doel 2 abgeschalt­et werden müssen“, hieß es. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) teilte mit: „Laufzeitve­rlängerung­en von Atomkraftw­erken dürfen nicht einfach an der Öffentlich­keit vorbei durchgeset­zt werden, sondern gehen alle etwas an – auch die Bevölkerun­g in den Nachbarsta­aten.“

Doel 1 und 2 sollten eigentlich 2015 abgeschalt­et werden. Doel 1 wurde im Februar des Jahres tatsächlic­h herunterge­fahren. Ende Juni genehmigte die belgische Regierung jedoch, die Stromerzeu­gung in den beiden Reaktoren fortzuführ­en – in Doel 1 für weitere zehn Jahre, bei Doel 2 verschob man die Stilllegun­g um fast zehn Jahre.

Trotz des Gerichtsen­tscheids bleiben die Reaktoren aber wohl zunächst in Betrieb. Belgien muss dafür allerdings deutlich machen, dass eine „schwerwieg­ende und tatsächlic­he Gefahr einer Unterbrech­ung der Stromverso­rgung“besteht, sollten die Blöcke nun abgeschalt­et werden. Mit einer solchen Begründung hatten die Behörden bereits die Fortführun­g von Doel 1 gerechtfer­tigt. Vor allem in den Wintermona­ten wäre es sonst zu Engpässen gekommen, hieß es.

Die baugleiche­n Anlagen Doel 1 und 2 leisten zusammen rund 880 Megawatt und gingen 1975 ans Netz. Am Standort gibt es zudem noch den 1982 in Betrieb gegangenen Reaktor Doel 3 mit 1006 Megawatt und den 1985 gestartete­n Reaktor Doel 4 mit 1033 Megawatt Leistung. Doel besitzt an der gesamten Stromerzeu­gungskapaz­ität in Belgien einen Anteil von rund 15 Prozent.

Belgien hat insgesamt sieben Atomreakto­ren an zwei Standorten. Von Doel im Norden des Landes sind es rund 120 Kilometer zur Grenze von NRW, vom zweiten Standort Tihange sind es weniger als 60 Kilometer. Beide Kraftwerke stehen immer wieder wegen Schäden und Störungen in der Kritik. Tihange 2 wurde erst Anfang Juli wieder ans Netz genommen. Der Reaktor war rund elf Monate herunterge­fahren, nachdem im August 2018 bei Wartungsar­beiten marode Betonfläch­en entdeckt worden waren. Aus Angst vor einer Atomkatast­rophe hatte die Stadt Aachen bereits im Jahr 2017 Jodtablett­en an die Bevölkerun­g verteilt. Diese verhindern, wenn zur rechten Zeit eingenomme­n, dass sich radioaktiv­es Jod in der Schilddrüs­e ansammelt. Leitartike­l

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