KOMMENTAR
Verantwortung für eine ganze Sportart
tenPlatzhatteBuchmannnochnicht lange sacken lassen, da richtete er für 2020 schon klare Botschaften an die Adressen der Verantwortlichen bei seinem Team Bora-hansgrohe. „Wir müssen schauen, dass wir mit mehr Bergfahrern an den Start gehen. Wenn man ganz vorne mitfahren will, braucht man ein superstarkes Team“, sagte Buchmann. Die Top 10 als Ziel? So bescheiden dürfte es bei der nächsten Tour mit Start an der Mittelmeerküste in Nizza wohl nicht mehr klingen.
Auch seine Teamkameraden hat Buchmann mit seiner Leistung bei dem bedeutendsten Radrennen der Welt beeindruckt. „Er wird definitiv mal ein Star werden“, betonte Gregor Mühlberger, Buchmanns bester Helfer in den Alpen und den Pyrenäen, wo der Deutsche mit einer Attacke kurz vor der Ankunft am legendären Tourmalet fasziniert hatte.
Nach Wochen der Anspannung wird Buchmann nach der Heimreise am Montag erstmal etwas verschnaufen. Der Ravensburger wird Kriterien in Bochum und Neuss absolvieren, und Ende August steht auch schon die Deutschland-Tour auf dem Programm. „Ich hatte schon eine anstrengende Saison. Jetzt brauche ich erstmal eine kleine Pause“, sagte Buchmann. Seine kleine Pause beschrieb er dann auch noch: Ein Tag ohne Fahrrad, dann geht es weiter.
Fans, Konkurrenten und Medien überschlagen sich mit Lob auf Emanuel Buchmann. Mit seinem vierten Platz bei der Tour de France hat der 26-Jährige Deutschland zwar noch nicht wieder ein Radsport-Fieber beschert, aber eine erhöhte Temperatur in Bezug auf das Interesse an der Tour und einem neuen deutschen Helden im Gesamtklassement ist durchaus spürbar. Doch so sehr Buchmann nun auch der Lohn der öffentlichen Wahrnehmung zuteil wird, so groß ist seit dem Wochenende auch seine persönliche Verantwortung für den deutschen Radsport. Genau genommen, könnte sie größer nicht sein.
Denn am 1,81-Meter-Mann aus Ravensburg wird sich in den kommenden Jahren entscheiden, ob das Vertrauen, das die Öffentlichkeit hierzulande inzwischen in weiten Teilen wieder in einen dopingfreien Radsport hat, gerechtfertigt ist. Sollte irgendwann herauskommen, dass auch ein sympathisch schüchterner Sportler wie Buchmann nicht ohne leistungssteigernde Substanzen ausgekommen ist, dürfte der Profiradsport hierzulande endgültig tot sein.
Der deutsche Radsport hat lange gebraucht, um sich von den Doping-Verwerfungen der Generation Jan Ullrich zu erholen. Verband, Teams und die Fahrer selbst haben sich seitdem größtmöglicher Transparenz in punkto Leistungskontrollen unterworfen. Buchmann selbst hatte während der Tour de France beteuert, die Fans bräuchten sich keine Sorgen zu machen. Er dope nicht. Just an dieser Äußerung wird er sich messen lassen müssen. Und mit ihm der gesamte Radsport. Denn am Wahrheitsgehalt dieser Zusicherung hängt das Wohl seiner Sportart. Nicht mehr und nicht weniger. Zuschauer und Sponsoren haben dem Radsport eine zweite Chance gegeben, weil er sich – zumindest in Deutschland – das Etikett „sauber“gegeben hat. Entpuppt sich das Etikett letztlich doch als Produktenttäuschung, wird es keine dritte Chance geben.
Das ist eine große Verantwortung für einen Mann, der gerade einmal 62 Kilogramm wiegt. Es ist weit mehr, als nur ein Vorbild zu sein. Und es gehört vielleicht am Ende sogar mehr dazu, dieser Verantwortung gerecht zu werden, als 3365 Kilometer Tour de France als Viertbester zu beenden.
Stefan Klüttermann