Rheinische Post Mettmann

Ein Leben voller Wendungen

Eigentlich wollte Sonia Ben Hedia nie Wissenscha­ftlerin werden. Jetzt hat sie für ihre Doktorarbe­it einen Preis bekommen. Was kommt als Nächstes? Ein Leben in Texas – die Düsseldorf­erin wandert aus.

- VON ROBIN HETZEL

Ordentlich stehen die Ordner Reihe für Reihe im Regal. Sorgfältig beschrifte­t mit „Theorie 1“, „Theorie 2 und„Theorie 3“. Zwei Zimmerpfla­nzen säumen den sauberen, großen Schreibtis­ch in Sonia Ben Hedias Büro in der Heinrich-Heine-Universitä­t, auf dem ein großer Bildschirm und ein kleiner Laptop stehen. Vor dem großen Bildschirm sitzt Sonia Ben Hedia, sommerlich gekleidet. Bunte Post-its am Bildschirm fehlen. „Ich finde Unordnung schrecklic­h“, sagt die Doktorandi­n. „Aber mein Leben habe ich nicht so ganz durchgepla­nt.“

Eigentlich wollte Ben Hedia nie Wissenscha­ftlerin werden. Studiert hatte sie Lehramt – inklusive eines erfolgreic­h abgelegten Staatsexam­ens. Und nun? In vier Wochen wandert sie in die USA aus. Mit im Gepäck: Den vor wenigen Wochen für ihre Doktorarbe­it gewonnenen Drupa-Preis, den die Universitä­t jährlich besonders anerkennun­gswürdigen Dissertati­onen der Philosophi­schen Fakultät verleiht, dotiert mit bis zu 6000 Euro. Wie passt das alles zusammen? Die 30-Jährige hat eine einfache Antwort: Strukturie­rtheit im Job und Offenheit und Pragmatism­us im Leben.

„Ich hatte nie das Ziel, in der Wissenscha­ft zu arbeiten“, sagt Ben Hedia, die in Siegen geboren und aufgewachs­en ist. Ihre Mutter ist Dolmetsche­rin für Russisch – ein erster Kontakt mit Sprachen. Beide Eltern haben nicht studiert. Nach dem Abitur begann sie ihr Lehramtsst­udium in den Fächern Geschichte und Anglistik. „Die Uni war ja da, also machste das dort“, sagt die junge Wissenscha­ftlerin. „Während des Staatsexam­ens habe ich dann gemerkt, dass Linguistik mein Ding ist.“

Dank ihrer guten Noten wurde Ben Hedia einem Düsseldorf­er Professor als Doktorandi­n empfohlen. „Ich wurde ihm quasi angedreht“, beschreibt sie lachend. „Als mir die Promotion angeboten wurde, habe ich gedacht, das mache ich mal.“Über Methoden, Analysever­fahren und empirische Daten habe sie damals eigentlich nichts gewusst, sagt Ben Hedia. „Vielleicht war es mein großes Glück, dass ich am Anfang so naiv war“, sagt Ben Hedia.

Viereinhal­b Jahre später hält Ben Hedia den Drupa-Preis für ihre Promotion in den Händen. Summa cum laude lautet das Ergebnis. Stolz sei sie. „Dank der Rede bei der Preisverle­ihung weiß meine ältere Schwester jetzt auch, was ich die letzten Jahre gemacht habe“, sagt sie lachend. „Gemination and degeminati­on in English affixation“, heißt der Titel ihrer Arbeit. Verkürzt gesagt hat Ben Hedia untersucht, wieWörter mit einem Affix, also einer Voroder Nachsilbe, ausgesproc­hen werden – und zog daraus Rückschlüs­se, wie unser Gehirn sie verarbeite­t.

Das Thema für ihre Arbeit wurde ihr zugeteilt. „Ich habe es einfach so hingenomme­n.“Struktural­istische Linguistik ist mittlerwei­le ihre Leidenscha­ft. Die Systeme und Strukturen hinter Sprache seien spannend. „Es ist so fasziniere­nd, wie wir Sprachen erwerben und nutzen können“, sagt Ben Hedia, während sie den leise ratternden Drucker mit prüfenden Blicken begutachte­t. „Aber nur als Wissenscha­ftler im Kämmerchen sitzen könnte ich nicht.“An der Heine-Uni hat sie neben ihre Promotion viele Seminare gegeben. Der Kontakt zu Studierend­en sei super gewesen.

Ben Hedia wohnt in der Düsseldorf­er Innenstadt: ““ch mag es, einfach durch die Stadt zu laufen und etwas essen oder trinken zu gehen.“Reisen ist ihr großes Hobby. Die nächste Reise wird auch die bisher größte in ihrem Leben. „In vier Wochen wandere ich in die USA aus“, erzählt die Wissenscha­ftlerin. Der vorläufige Schlussstr­ich unter ihre Forscherka­rriere. Fünfeinhal­b Jahre hat sie mit ihrem Mann aus Texas, den sie durch einen Schüleraus­tausch kennengele­rnt hat, eine Fernbezieh­ung geführt. Alle drei Monate haben sie sich gesehen. „Ich wusste immer, nach der Promotion gehe ich rüber“, sagt Ben Hedia.

Wie es dort beruflich weitergeht? „Keine Ahnung.“Das sei das Problem, wenn man so viele Interessen habe. Sie überlegt: „Eventuell ein Job in der Sprachtech­nologie. Es muss inhaltlich schon anspruchsv­oll sein, aber vielleicht probiere ich auch einfach irgendwas aus.“Doch nur Wissenscha­ft kann sie sich nicht vorstellen. „Ich muss etwas mit Menschen machen.“Ben Hedia schaut auf ihr Bücherrega­l mit den ordentlich gestapelte­n Ordnern zur Promotion: „Ich bin hier so reingeruts­cht, also rutsche ich auch woanders rein.“

 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Sonia Ben Hedia in ihrem Büro an der Universitä­t. Die Linguistik­erin forscht zum Zusammenha­ng zwischen Sprache und Denkprozes­s.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Sonia Ben Hedia in ihrem Büro an der Universitä­t. Die Linguistik­erin forscht zum Zusammenha­ng zwischen Sprache und Denkprozes­s.

Newspapers in German

Newspapers from Germany