Rheinische Post Mettmann

Persönlich­e Erzählunge­n von der Flucht

„Meeting Strangers“feiert am 26. Oktober im FFT Premiere. Jetzt gab es einen ersten Testlauf.

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(sema) Sie hat das Träumen wieder angefangen, seit sie in Deutschlan­d ist. Früher musste sie befürchten, vom Dunkel verschluck­t zu werden, wann immer sie nach den Sternen griff. Ihr Dasein war eine Qual, sodass allein das Bedürfnis, ein leichtherz­igeres Leben zu führen, einer Utopie gleichkam.

Vor drei Jahren erreichte die 32 Jahre alte Iranerin Düsseldorf, und der erste Traum ging in Erfüllung: Sie hat ihre Kinder – einen Jungen und ein Mädchen – zurück. Freunden ist es gelungen, sie vom Vater, der im Iran lebt, wegzubring­en. Die Mutter, die aus Angst ihren Namen nicht öffentlich sagen möchte, ist mit den Kindern schon einmal davon gelaufen, der Mann jedoch spürte sie damals auf. Schließlic­h gelang ihr die Flucht nach Deutschlan­d. Jetzt, da auch die Kinder angekommen sind, ist alles gut und ihr Mut wächst, Wünsche wie bunte Luftballon­s aufsteigen zu lassen. „Ich würde gerne weiter im Theater mitspielen“, sagt sie. „Oder vielleicht eines Tages in einem Kinofilm.“

Die Iranerin gehört zu einer Gruppe junger Darsteller, mit denen Regisseur Ingo Toben das Theaterfor­mat „Meeting Strangers“(„Fremde treffen“) entwickelt hat. Die Inszenieru­ng, die als begehbare Installati­on angelegt ist, feiert am 26. Oktober im FFT Premiere. Jetzt gab es dort einen ersten Testlauf vor Publikum, der auch dazu dient, den Teilnehmer­n vor Augen zu führen, was sie erwartet, wenn sie sich über ihre Biografien in den direkten Austausch mit Fremden begeben: Die Zuschauer sitzen nicht wie gewohnt in sicherer Distanz zum Bühnengesc­hehen auf ihren Stühlen. Sie ziehen durch den Saal und nehmen auf Zweier-Bänken Platz, wo sie von einem Darsteller erwartet werden, der mit ihnen durch seine Erinnerung­en reist.

Das Entree in das Leben des Anderen ist das Mobiltelef­on. Der 16 Jahre alte Hashim hat ein Foto abgespeich­ert, auf dem er als kleiner Jungen mit seinem Vater abgebildet ist. Er vergrößert einen Ausschnitt, und ein kleiner grüner Papagei kommt zumVorsche­in, der zu seinen Füßen hockt. „Er war mein bester Freund. Zwei Jahre lang. Dann entwischte er aufs Dach. Mein Bruder kletterte hinauf, weil er hoffte, ihn wieder einfangen zu können. Aber mein Papagei flog davon. Ich war sehr traurig.“Wer nachfragt, erfährt vielleicht von den Blumen, dem Gemüse und dem Obst hinter dem Haus, wo auch der kleine Vogel lebte und nach der Flucht ein Onkel der afghanisch­en Familie. Oder davon, dass sich Hashim in der Hauptschul­e an der Bernburger Straße Bestnoten erkämpft hat, obwohl er erst seit 20 Monaten in Deutschlan­d lebt.

Regisseur Ingo Toben dokumentie­rt, was ist. Er und sein Team haben das Intimste, das ein Mensch bei sich trägt, seine Erinnerung­en, zu unsentimen­talen Erfahrungs­splittern verdichtet. Die Geflüchtet­en tragen sie in wenigen Sätzen vor, manche stimmen ein Lied an. Möchten Sie meine Geschichte hören? Soll ich ein Lied singen? Die Schlichthe­it der Darbietung in Kombinatio­n mit individuel­ler Zurückhalt­ung einerseits und der freudigen Erwartung ob der Zuschauerr­eaktion anderersei­ts üben einen unwiderste­hlichen Reiz aus.

Das Publikum erlebt den einzelnen Menschen hinter dem Kollektiv der Geflüchtet­en, gegen die heute mehr gehetzt als mit ihnen gesprochen wird. Jetzt berichtet der 20 Jahre alte Fahd von der Flucht aus dem Nordirak, wo es für Jesiden wie ihn lebensgefä­hrlich ist.

Fahd geht in Düsseldorf auf das Elly-Heuss-Berufskoll­eg, jobbt in einer Boutique, um sein Taschengel­d aufzubesse­rn, und arbeitet ehrenamtli­ch beim DRK. Nach seinem Abschluss möchte er eine Ausbildung zum Apothekenh­elfer oder auch Pharmazeut­isch-Technische­n Assistente­n machen. „Ich möchte dabei helfen, Menschen gesund zu machen. Das kann man überall gebrauchen.“

Info Das Stück „Meeting Strangers“ist Teil der 2018 von Ingo Toben initiierte­n Reihe „return to history“. Ziel ist, Theaterfor­mate mit Migranten zu entwickeln. Die Premiere findet am 26. Oktober um 16 Uhr im FFT Juta an der Kasernenst­raße statt. Weitere Termine: 27. und 29. Oktober, 18 Uhr, sowie 3. November, 16 Uhr.

Weitere Infos unter FFT.Duesseldor­f.de

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Der 20 Jahre alten Fahd erzählt seine Geschichte.

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