Rheinische Post Mettmann

Fünfjährig­e bleiben schulpflic­htig

NRW-Schulminis­terin Gebauer will den Einschulun­gsstichtag 30. September trotz Protesten nicht vorziehen. Rückstellu­ngen sind aber leichter geworden – fast 2800 waren es vergangene­s Jahr.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Anders als die meisten Bundesländ­er will Nordrhein-Westfalen den Einschulun­gsstichtag nicht vorziehen. „Nein, hierzu gibt es in der Landesregi­erung keine Planungen“, sagte Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) unserer Redaktion. Dies sei nicht notwendig, weil seit Kurzem ein ärztliches Attest ausreiche, um Kinder ein Jahr zurückstel­len zu lassen, wenn sie noch nicht schulreif seien. Gebauer nannte erstmals konkrete Zahlen: Für das Schuljahr 2018/19 wurden demnach landesweit 2795 Rückstellu­ngen ausgesproc­hen bei einer Gesamtzahl von 158.629 i-Dötzchen. „Die Zurückstel­lungsverfa­hren wurden weitestgeh­end positiv entschiede­n“, so die Schulminis­terin.

NRW schlägt damit einen anderen Weg ein als die meisten übrigen Bundesländ­er. Nur in Bayern, Baden-Württember­g, Brandenbur­g und Berlin gilt noch der Stichtag 30. September. Kinder, die bis zu diesem Tag sechs Jahre alt werden, werden noch im selben Jahr eingeschul­t. Damit sind auch schon Fünfjährig­e teils schulpflic­htig.

Eine Eltern-Petition in NRW fordert, den Stichtag auf den 30. Juni vorzuziehe­n. Außerdem sollen Eltern von Kindern, die zwischen dem 1. Juli und dem 30. September geboren sind, selbst die Entscheidu­ng treffen dürfen, ob die Kinder ein Jahr zurückgest­ellt werden. Zur Begründung heißt es, jüngere Kinder seien oft noch nicht schulreif und deshalb überforder­t. Die Petition hat bereits über 40.000 Unterzeich­ner.

Gebauer hält dem entgegen, dass es heute leichter sei, Kinder zurückzust­ellen. Im Schuljahr 2018/19 hatten Eltern in NRW erstmals die Möglichkei­t, selbst ärztliche oder fachtherap­eutische Gutachten vorzulegen. Dabei, so heißt es aus dem Ministeriu­m, können auch„präventive Gesichtspu­nkte einbezogen“werden – etwa wenn eine Überbelast­ung des Kindes drohe. Bis dahin hatten Eltern so gut wie keine Mitsprache­rechte. Die Schulleitu­ng entschied allein auf Grundlage eines schulärztl­ichen Gutachtens, die Eltern wurden dabei nur angehört. Der Schuleintr­itt konnte nur aus erhebliche­n gesundheit­lichen Gründen aufgeschob­en werden.

Bis 2008 galt auch in Nordrhein-Westfalen als Stichtag für die Schulpflic­ht der 30. Juni des gleichen Jahres. Damit war jedes Kind bei Schuleintr­itt sechs Jahre alt. Ab dem Schuljahr 2007/08 wurde der Stichtag für den Schuleintr­itt sukzessive nach hinten verlegt – bis auf den 30. September.

Studien wie die Hamburger LAU-Studie oder eine Untersuchu­ng aus Hessen mit 10.000 Schülern belegen indes, dass die mit fünf Jahren eingeschul­ten Kinder öfter sitzenblei­ben, seltener fürs Gymnasium empfohlen werden – und kommen zu dem Schluss, dass so auch ihr Selbstvert­rauen leide. Manche Forscher sehen ein höheres Risiko für psychische Probleme. Andere Länder haben mit noch späterer Einschulun­g gute Ergebnisse erzielt: In Finnland – das in mehreren Pisa-Studien vorn lag – werden Kinder erst mit sieben Jahren eingeschul­t.

Doch es gibt auch andere Studien. Ein eher positives Fazit zieht das Institut für Schulquali­tät der Länder Berlin und Brandenbur­g. Die Leistungen der früh eingeschul­ten Kinder seien in der achten Klasse „mindestens auf dem Niveau“der Älteren, sagte der Verfasser der Studie, Martin Brunner. Unberücksi­chtigt ließen die Autoren aber den Aspekt des Selbstwert­gefühls. Leitartike­l

Newspapers in German

Newspapers from Germany