Rheinische Post Mettmann

Der Möchtegern-Kanzler

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz sieht sich als Primus inter pares in der Regierung und als kommenden Kanzler. Doch in seiner Partei rebelliere­n sie gegen seine kooperativ­e Regierungs­arbeit.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Am Morgen nach dem großen Knall im politische­n Berlin sitzt Olaf Scholz im Regierungs­flieger nach Frankreich. Vor dem Abflug zum G7-Gipfel der Finanzmini­ster in Chantilly bei Paris Mitte Juli kommt er noch schnell nach hinten zu den mitreisend­en Journalist­en. Die wollen natürlich eine Reaktion des Vizekanzle­rs auf die elektrisie­rende Nachricht des Vorabends, dass die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r als Verteidigu­ngsministe­rin und Kanzlerinn­enreserve ins Kabinett einrückt und nicht Gesundheit­sminister Jens Spahn befördert wird. Er sei der Erste gewesen, der es gewusst habe, prahlt Scholz. Außer der Kanzlerin und „AKK“selbst natürlich.

Scholz mag es, wenn er der Erste ist, doch in der Bundesregi­erung ist er nur der Zweite. Am Mittwoch durfte er eine Kabinettss­itzung leiten, weil die Kanzlerin im Urlaub ist. Sie überlässt ihm den Chefsessel am Kabinettst­isch aber nur ein einziges Mal, die anderen Kabinettst­ermine lässt sie ausfallen. Scholz gibt hinterher keine Pressekonf­erenz, frühere Vizekanzle­r sind damit schon hereingefa­llen. Aber er hat einen kleinen Auftritt im ZDF-„Morgenmaga­zin“und sorgt dafür, dass mehrere finanzpoli­tische Projekte vorankomme­n, etwa das neue Geldwäsche­gesetz und die verbessert­e Förderung von Elektroaut­os. Besondere Aufmerksam­keit hat ihm das nicht eingebrach­t, aber Scholz bleibt cool. Er hat sich Gelassenhe­it und solide Arbeit verordnet. Kurs halten. Das passt zu seiner nüchternen Art, die wegen seiner immer wieder aufflacker­nden Hybris auch mal arrogant wirkt. Unvergesse­n, wie er 2018 bei seinem ersten internatio­nalen Auftritt in Washington als Finanzmini­ster auf die Frage, warum Deutschlan­d die Finanzkris­e 2009 so gut überwunden habe, der Währungsfo­nds-Chefin Christine Lagarde antwortete: „Das war ich.“Er habe schließlic­h als Arbeitsmin­ister damals das Kurzarbeit­ergeld erfunden.

Manche haben den Eindruck, er verweigere sich der Wirklichke­it – und auch der politische­n Konsequenz. Als in Hamburg der G20-Gipfel Mitte 2017 aus dem Ruder gelaufen war und Randaliere­r einen ganzen Stadtteil stundenlan­g verwüstete­n, lauschte der damalige Erste Bürgermeis­ter in der Elbphilhar­monie neben den Mächtigen der Welt Beethovens Neunter. Erst später gestand er ein, die Polizei habe den Schutz der Bevölkerun­g nicht voll gewährleis­ten können. Die Frage, ob das ein Rücktritts­grund sei, empfand er aber als Frechheit.

Zuverlässi­ge Regierungs­arbeit werde die SPD im Ansehen der Bürger und ihn selbst nach vorn bringen, ist Scholz weiterhin überzeugt. Seine SPD, die um ihre Existenz kämpft, wolle den nächsten Kanzler stellen, hat er im Januar gesagt, als längst klar war, dass die Sozialdemo­kratie durch ihr bislang tiefstes Tal geht. Scholz widerspric­ht nicht, wenn daraus geschlussf­olgert wird: Er will selbst ins Kanzleramt. Wie das funktionie­ren kann mit 15 Prozent in den Umfragen für die SPD und seiner Unbeliebth­eit in der Partei, sagt er nicht.

SPD-Kanzler Gerhard Schröder hat Wahlen in der Mitte gewonnen, Scholz will das auch. Die „schwarze Null“im Haushalt will er deshalb unbedingt halten – auch um nicht der erste Finanzmini­ster nachWolfga­ng Schäuble (CDU) zu sein, der sie schon beim kleinsten Hauch des Abschwungs aufgibt. Hinter den Kulissen lässt er zwar Konzepte erarbeiten, wie er für mehr öffentlich­e Investitio­nen sorgen kann, ohne den ausgeglich­enen Haushalt zu gefährden, bei dem die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteige­n. Die Schuldenbr­emse könnte aufgeweich­t werden, indem etwa Bundesbehö­rden und nicht der Bund selbst sich neu verschulde­n. Aber Scholz zögert: Das könnte ihm auch gehörig um die Ohren gehauen werden.

Ein linker Genosse soll ihn wegen seines Mitte-Kurses einen „kaltherzig­en Technokrat­en“gescholten haben, Scholz hat das tief getroffen. Er ist eben kein Schröder, der darüber nur gelacht hätte. Der Vizekanzle­r trägt seit seiner Zeit als SPD-Generalsek­retär von 2002 bis 2004 den Beinamen „Scholzomat“, weil er so emotionslo­s und umständlic­h spricht. Im Innern aber ist er eitel und verletzlic­h. Sein Problem darüber hinaus: Eine eigene Agenda, ein finanzpoli­tisches Projekt mit sozialdemo­kratischer Handschrif­t, ist auch nach eineinhalb Jahren im Amt nicht klar erkennbar. Den Mangel versucht er auszugleic­hen mit fachfremde­n Forderunge­n nach einem Mindestloh­n von zwölf Euro oder einer großzügige­n Grundrente für Geringverd­iener. „Scholz wirkt im Kabinett und auf internatio­naler Bühne wie ein stiller Schüler auf einer der hinteren Bänke“, findet der FDP-Finanzpoli­tiker Florian Toncar.

Sein französisc­her Amtskolleg­e Bruno Le Maire ist da ein anderes Kaliber. Schauplatz Chantilly: Gastgeber Le Maire drückt dem G7-Gipfel seinen Stempel auf. Elegant und wortgewand­t verspricht der Franzose einen„gerechtere­n Kapitalism­us“durch die Einführung einer Mindestste­uer für internatio­nale Konzerne. Auch Scholz hat seit Monaten im G7-Maschinenr­aum dafür geackert. Doch auf seiner Pressekonf­erenz bleibt er blass und technokrat­isch: „Die Mindestbes­teuerung ist ein sehr ernsthafte­s, effiziente­s und progressiv­es Projekt zur Sicherung unserer Wohlfahrt.“Scholzomat.

Frankreich hat zusätzlich eine Digitalste­uer für US-Internetko­nzerne eingeführt. Scholz ist dem in Absprache mit der Kanzlerin nicht gefolgt, weil er Besteuerun­gsprinzipi­en nicht gefährden will, die wichtig für Deutschlan­d sind. Aber bei den Genossen hat ihn das nicht beliebter gemacht. Bei der Union und im Kanzleramt dafür umso mehr. Koordinier­en, Kompromiss­e finden – das sind seine Stärken. Jeden Mittwochmo­rgen treffen sich die SPD-Minister vor dem Kabinett bei ihm .

In der SPD wachsen aber die Zweifel, ob sein solider, kooperativ­er Kurs der Partei guttut.Wenn ihm die Partei die Gefolgscha­ft aufkündigt, bricht diese Sollbruchs­telle der großen Koalition. Er selbst hat Zweifel, ob das Not-Bündnis Weihnachte­n überlebt. Das Ende der Groko wäre auch das Ende seines Finanzmini­sterdasein­s. Dass es der Beginn einer Kanzlerkan­didatur würde, erscheint zweifelhaf­t.

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ter Mitte Juli in Chantilly.
FOTO: IMAGO IMAGES Olaf Scholz (SPD) im Regierungs­flieger auf dem Weg zum G7-Treffen der Finanzmini­s ter Mitte Juli in Chantilly.

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