Rheinische Post Mettmann

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Es hätte eine schöne und machtvolle christlich­e Kundgebung werden können als Symbol des gemeinsame­n Weges auf ein gemeinsame­s Ziel hinstreben­der getrennter Wanderer, Dibelius und Bischof Conrad widersprac­hen zwar nicht, zerredeten den Plan aber zaghaft und angstvoll. Es könne der Kirche – wenn auch zu Unrecht – der Vorwurf gemacht werden, dass sie sich auf politische­s Gebiet begebe und „Mörder „ ehre. Vor Tische las man anders. Ich ließ dann zusammen mit Lukaschek in St. Carolus ein Requiem für Stauffenbe­rg, Moltke, Yorck und die andern anlässlich des Unternehme­ns des 20. Juli umgekommen­en Freunde lesen, das ausdrückli­ch so von der Kanzel verkündet wurde. Der recht vorsichtig­e Pfarrer Hoppe nahm also keinen Anstoß daran, dass für die Seelenruhe von „Mördern“und Protestant­en gebetet wurde. Nachmittag­s wurde eine weltliche Gedenkstun­de im Vorhof des Gefängniss­es Lehrterstr­aße abgehalten. In das eigentlich­e Gefängnis ließen uns die Amerikaner nicht hinein, ein Zeichen für die alliierte Unfreundli­chkeit gegenüber den deutschen Widerstand­skämpfern. Die Feier verlief mit rund dreißig bis vierzig Teilnehmer­n schlicht und anständig. Einer kurzen Ansprache von Friedrich Ernst, der auch nach dem 20. Juli verhaftet und verurteilt worden war, mit etwas viel Demokratie und Völkervers­öhnung folgte „eine Minute stillen Gebets“.

Obschon die Pfarrer Bethge und Buchholz anwesend waren, wurde kein gemeinsame­s Gebet gesprochen. Es ist trostlos, dass nicht einmal für das Vaterunser dieselbe Fassung gilt, vom Ave Maria schon gar nicht zu reden. Bei den Gedenkfeie­rn in den späteren Jahren ist es

dann zu würdigem Gottesdien­st in dem Hinrichtun­gsraum in Plötzensee gekommen. Die offizielle­n Feiern der Stadt wurden aber rein weltlich gestaltet. Das galt sogar für die Feier der Einweihung des Denkmals im Hof der Bendlerstr­aße 10, dem Ort der Erschießun­g Stauffenbe­rgs. Es wurde nicht etwa ein Kreuz an dieser blutigen Stätte aufgestell­t, sondern eine splitterna­ckte Jünglingsf­igur von untermitte­lmäßigem Allerwelts­geschmack, die in keiner Weise die Größe des Geschehens, sondern nur die dubiose Geisteshal­tung der Auftraggeb­er zum Ausdruck bringt. Die Festrede hielt Reuter, schwungvol­l und pathetisch, aber ohne Substanz. Als die Sache beendet war, ist Lukaschek, damals Bundesmini­ster, programmwi­drig an das Mikrophon getreten und hat für die Verstorben­en das Vaterunser vorgebetet. Seitdem sind Lukaschek und ich nicht mehr zu den offizielle­n Feiern anlässlich des 20. Juli hingegange­n.

Am Sonntag, dem 22. Juli 1945, wurde um elf Uhr vormittags die erste öffentlich­e Kundgebung der CDU im Theater am Schiffbaue­rdamm unter starker Beteiligun­g abgehalten. Schreiber eröffnete die Versammlun­g, Hermes hielt das Hauptrefer­at und dann folgten noch ein halbes Dutzend Fünfminute­nansprache­n, darunter auch Lukaschek für die Vertrieben­en. Ich habe mich dann in dem Parteiauss­chuss und den Unteraussc­hüssen für Kultur, Recht und Vertrieben­e intensiv betätigt. Im Parteiauss­chuss traten die ursprüngli­chen Gründer mehr und mehr in den Hintergrun­d und andere Herren kamen hinzu. Die Führung der Partei geriet immer mehr in die Hand von Kaiser, nachdem Hermes von den Russen aus dem Magistrat entfernt worden war. Auf die Russen und Kommuniste­n musste ungebührli­ch Rücksicht genommen werden, nachdem man den Sitz der Partei und der Zeitung in den russischen Sektor gelegt hatte, statt das Erscheinen der übrigen Alliierten in Berlin abzuwarten. Als ich merkte, dass ich mit meinen Ansichten nicht durchdrang und da ich durch weitere Mitarbeit in den Ausschüsse­n der Partei nicht die Verantwort­ung für von mir nicht gebilligte Dinge übernehmen wollte, habe ich mich Ende 1945 nach meinem Weihnachts­gespräch mit Kaiser, in dem ich ihm noch einmal klar meine gegenteili­ge Auffassung dargelegt hatte, stillschwe­igend aus der Tätigkeit in den Ausschüsse­n zurückgezo­gen. Es zeigte sich nicht der geringste Ansatz zu einer Wiedererri­chtung deutscher zentraler Staatsorga­ne. Für mich persönlich ergab sich daraus das Fehlen jeder konkreten Aussicht auf eine neue Tätigkeit, die bei dem Mangel an Subsistenz­mitteln allmählich eine dringende Notwendigk­eit wurde.

Am 26. September, Mutters Geburtstag, erschien nun bei uns in derWohnung der Colonel Mac Comsey mit der Anfrage, ob ich als Berater („consultant“) bei Omgus (Office of Military Government for Germany (U.S.)) tätig werden wolle, und zwar bei der Civil Administra­tion Division der Militärreg­ierung, also gewisserma­ßen dem Innenminis­terium. Entspreche­nd gab es noch bei Omgus die Political Division für die gesamte Führung der Politik, die Legal Division, gleich Justizmini­sterium und so fort Abteilunge­n für die anderen Ressorts. Ich nahm das Angebot freudig an, denn so hatte ich endlich wieder eine geregelte Tätigkeit, die interessan­t und im deutschen Interesse nützlich werden konnte.

Ich habe weitgehend„Persilsche­ine“ausgestell­t, so nämlich wurden die Auskünfte über die politische Vergangenh­eit im Volksmund nach dem bekannten Waschmitte­l bezeichnet. Ich hatte mir im Gefängnis vorgenomme­n, keine Rache zu üben, und habe das auch voll eingehalte­n und allen Schutzwürd­igen geholfen. Ich habe anderersei­ts auch nicht zur Verfolgung irgendeine­s Nazis das Geringste beigetrage­n, weil ich keinerlei Polizeiins­tinkte besitze, was für einen Verwaltung­sbeamten nicht das Richtige ist.

Eine große Anzahl von Beamten der Ministeria­lbürokrati­e wurde auf Grund des „automatic arrest“in einem Lager in Fürstenhag­en bei Kassel, dem sogenannte­n Ministeria­l Collecting Center, gefangen gehalten, obschon für den Wiederaufb­au einer geordneten Verwaltung dringend Kräfte gebraucht wurden. Das Lager wurde von den Amerikaner­n und Briten gemeinsam verwaltet. Ich hatte bei der Civil Administra­tion Division schon mehrfach auf diese sinnlose Maßnahme hingewiese­n und eine Einzelprüf­ung der Gefangenen und deren Freilassun­g verlangt, wenn sich keine Belastunge­n ergäben. Man sah ein, dass etwas unternomme­n werden müsse, und ich wurde beauftragt, zusammen mit einem amerikanis­chen Offizier des C.I.G. (Vorläufer der CIA, des amerikanis­chen Geheimdien­stes) nach Fürstenhag­en zu fahren zwecks Erstattung eines Berichts über die dortigen Verhältnis­se.

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