Zarte Seele, starke Sprache
Vor zehn Jahren starb die Lyrikerin Margot Gabriel. Sie lebte lange in Mettmann, hinterließ ein umfangreiches Werk.
METTMANN „ Immer sind sie mir Haus, das sich dem Lärm dieser Zeit und eigener Unrast entrückt.“Als Margot Gabriel diese Sätze zu Papier brachte, mag alles wie immer gewesen sein. Die Lyrikerin saß vor ihrer Schreibmaschine, die Durchschläge fein säuberlich eingespannt. Sie selbst dem Weltentrubel entrückt – versunken in all dem, was die Seele bewegt haben mag. Blättert man sich durch Gedichte und Haikus, so spürt man vor allem eines: Das bisweilen laute Rauschen des Lebens floss, durch die sensible Wahrnehmung der Dinge hindurch, hinein in eine ausdrucksstarke Sprache.
„Die formschönen und von großem Gefühl für Sprachwerte zeugenden Verse sind der Ausdruck einer heute selten gewordenen Art fraulichen Erlebens und Empfindens“, sagte einst der Wiener Dichter Wilhelm Szabo über Margot Gabriels Gedichte. Frauliches Erleben? Das würde heute gewiss einen Aufschrei hervorrufen.
Was Szabo meinte, war wohl vor allem das empathische Durchdringen dessen, was ist. Hinzu kam auch, dass die 1950er und 60er Jahre durchzogen waren vom Leid, das die Kriegswirren bei den Überlebenden hinterlassen hatten. Nach außen meisterten sie das Leben, aber die Leichtigkeit war dahin – dieses Schicksal einte eine ganze Generation. Mutig waren diejenigen, die einen Blick hinter die schützende Fassade riskierten.
Schaut man nun auf das Leben von Margot Gabriel, so fragt man sich vor allem dies: Wie konnte es gelingen, eine Empfindsamkeit zu erhalten, die sie neben vielem anderen das hier schreiben ließ: „Tot, auf dem Dach meines Hauses lag eine Taube. Noch glänzte schön ihr zerstörtes Gefieder; doch auf dem Glas meines Fensters trockneten Inseln von Blut. Wie erschrak ich! Nun nisten im dunklen Geäst meiner Seele die heiteren Vögel des Himmels nicht mehr so gerne wie einst. Dein leichter, glücklicher Flug, dein zärtlicher Taumel im Winde, wilde Taube der Jugend, sind mir entschwunden – vorbei.“
Dass Margot Gabriel in ihrem Leben nichts mehr dem Zufall überlassen wollte? Dass sie unermüdlich schrieb und das Geschriebene samt Durchschlägen in Ordnern verwahrte? Dass sie alles auf Inventarlisten festhielt, um es dem drohendenVergessen zu entreißen? Hatte man sich inmitten vonWirtschaftswunderzeiten ringsum längst dem Materiellen zugewandt, lebte Margot Gabriel weiter ihr stilles und zurückgezogenes Leben im Schatten des Bildhauers Rudolf Christian Baisch.
Er war ihr Gesprächspartner und Kritiker. Er las alles, was sie schrieb, gab ihr Halt und Kraft. War es einst eine seiner Skulpturen, die Margot Gabriel den Weg ins Atelier des Künstlers wies, so blieben beide bis zu seinem Tod innig vereint. Dass es ihr Mann war, der in der Öffentlichkeit glänzte? Dass sie schrieb und es dennoch vor allem seine Skulpturen, Gemälde und Verse waren, über die man sprach? Nun ja, so waren die Zeiten nun mal – dem Miteinander tat es keinen Abbruch. Bis zu Baischs Tod im Jahr 1990 lebten beide am DorperWeg in der„Plattekuhle“, später zog Margot Gabriel zu ihrem Sohn Raimund nach Ratingen