Als der Wagen nicht kam
Das damalige Aufblühen des Wirtschaftslebens schuf gleichzeitig die Grundlage für die politische Erneuerung, die sich während meiner Kölner Zeit anbahnte. Der Stern Adenauers war aufgestiegen, und aus einem Haufen verhungerter und zerlumpter Obdachloser und Landstreicher formte sich wieder ein Gebilde, das mehr und mehr an Gewicht und Ansehen gewann. Bonn, nicht Frankfurt, trat an die Stelle Berlins, weil die Villa Adenauers in Rhöndorf stand. Zäher, rücksichtsloser Machtwille eines starken Mannes schaffte sich die Akklamation für die neue Demokratie, die ihre Rechtfertigung in der aufblühenden Wirtschaft fand. Die Träger und Nutznießer der braunen Vergangenheit kamen umgefärbt aus den Löchern und halfen eifrig und erfolgreich beim Wiederaufbau des Staates. Der Aufbruch zu neuen großen Zeiten wurde allenthalben ersichtlich.
Für mein persönliches Geschick hatte dieses Kölner Jahr die abschließende Wende gebracht. Mit 58 Jahren hatte ich ein Amt erhalten, das angesehen war und eine schöne Aufgabe darstellte. Das neue Amt beinhaltete zudem überwiegend eine verwaltende und gestaltende Tätigkeit, zumal ich sein erster Inhaber war, es also schaffen und formen musste. Ich habe es daher mit Frohmut und Optimismus übernommen in der Hoffnung, ein nützliches und gutes Werk schaffen zu können. Es erschien mir als ein gutes Vorzeichen, dass ich das Amt nicht meiner politischen Partei, der CDU, zu verdanken hatte, vielmehr vom Zentrum dem CDU-Ministerpräsidenten Arnold geradezu aufgezwungen worden war.Wer ein öffentliches Amt durch eine Partei erhält auf Grund seiner Zugehörigkeit zu ihr, kann sich anständigerweise der Verpflichtung gegenüber dieser Partei nicht entziehen.
Wenn der Tag sich neigt, dann kommen die Nachtgedanken, die phantasmata noctis. In allen Fährnissen meines langen Lebens bot stets Hort und Sicherheit die Kirche. Aber auch hier sind an meinem Lebensabend dunkle Wolken heraufgezogen. Die Gefahren, welche die Kirche von außen bedrohen, sind unwesentlich. Sie ergeben sich daraus, dass Christus – und damit die Kirche – der Stein des Anstoßes und das scandalum für dieWelt sind. Der Glanz der Kirche wird dadurch nur umso strahlender. Das Herz wird jedoch von Angst erfüllt über manches Geschehen innerhalb der Kirche. Ich sehe vielfache dunkle Schatten, die mich bedrücken.
Für junge Leute stellen sich all diese Probleme sicher einfacher, jedoch kurz vor der Reise in die Ewigkeit sind sie recht bedrückend. Aber es hat in der Kirche schon oft betrübte und armselige Zeiten gegeben, die sie verjüngt und verschönt wieder aufstrahlen ließen.Wenn die Menschen zum Mond fliegen, um dann von diesem auf den nächsten Stern überzusetzen, muss auch der Weg zum Himmel wohl anders werden als bisher. Der Himmel ist für mich immer noch „oben“, obschon Oben und Unten seit Kopernikus und Galilei vertauscht sind, was das gesamte menschliche Denken verwirrt hat. Das Oben bezieht sich jetzt nicht mehr auf die Erde allein, sondern auf die Gesamtheit aller Gestirne, über denen Gott thront, genau wie auf Dürers Allerheiligenbild, oder auf einem barocken Kuppelgemälde, umgeben von den Chören der Engel und den abgestuften Reihen der Heiligen.
ERPELINO