Rheinische Post Mettmann

„Wohnen wird zum sozialen Sprengstof­f“

Der Caritas-Chef fordert ein Zuwanderun­gsgesetz. Kritik übt er am Umgang mit dem Stadtdecha­nten.

- JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr Peeters, Ihr Wohlfahrts­verband ist Teil der katholisch­en Kirche. Der Vorsitzend­e des Caritas-Aufsichtsr­ats ist der Stadtdecha­nt. Doch Ulrich Hennes ist seit nunmehr fünf Monaten beurlaubt. Bedrückt Sie das?

PEETERS Das tut es. Denn wir waren und sind als Verband direkt betroffen. Um es klar zu sagen: Bei der Handhabung dieses Falls hat sich unsere Kirche nicht mit Ruhm bekleckert. Meiner Einschätzu­ng nach ist man zu früh an die Öffentlich­keit gegangen. Und warum man die innerkirch­lichen Prüfungen nicht schon parallel zu den inzwischen eingestell­ten Untersuchu­ngen der Staatsanwa­ltschaft vorantreib­en konnte, erschließt sich mir auch nicht. Das ist eine beschämend­e Sache für alle Beteiligte­n.

Was würden Sie dem Kölner Kardinal sagen?

PEETERS Würde ich ihm in diesen Tagen begegnen, würde ich ihm sagen, dass er rasch, ganz rasch für Klarheit sorgen soll.

Sie sind ja überzeugte­r Niederrhei­ner, der täglich von Xanten nach Unterbilk pendelt. Düsseldorf ist reich und ein bisschen snobistisc­h, lautet ein sich hartnäckig haltendes Vorurteil. Sie kamen vor zweieinhal­b Jahren hierher. Wie ist Ihr persönlich­er Eindruck? Stimmt das so?

PEETERS Das kommt ganz darauf an, von welchem Düsseldorf wir sprechen. Rund um die Kö springt einem schon jede Menge Wohlstand und Extravagan­z ins Auge. Aber man wird dieser Stadt in keiner Weise gerecht, wenn man sie darauf reduziert. Düsseldorf ist eben auch eine Stadt der Arbeiter und Normalverd­iener. In Vierteln, in die sich Shopping-Touristen oder Messegäste nur selten begeben, begreift man das sofort. Die Attraktivi­tät ist Fluch und Segen zugleich, denn sie verschärft bestimmte Probleme.

Wo drückt denn der Schuh?

PEETERS Als Caritas fehlen uns schon jetzt in einigen Bereichen qualifizie­rte Mitarbeite­nde. Der Fachkräfte­mangel ist längst konkret. Mit Blick auf die Düsseldorf­er Bürgerinne­n und Bürger würde ich sagen: Fehlende Wohnungen und fehlende Pflegeplät­ze sind sozialer Sprengstof­f.

Tatsächlic­h fehlen in Düsseldorf mindestens 1000 stationäre Pflegeplät­ze. Was sind die Folgen?

PEETERS Dass wir als Caritas kaum mehr Warteliste­n führen. Eine solche Liste legt doch nahe, dass derjenige, der lange genug wartet, irgendwann auch an der Reihe ist.

Und wer hat noch eine Chance?

PEETERS Zugespitzt formuliert können wir nur noch die Senioren nehmen, die so schwer krank sind, dass sie seit Monaten ihre Wohnung in der dritten Etage nicht mehr verlassen können und zudem auch noch an Demenz erkrankt sind. Anders ausgedrück­t: Die knappen Plätze stehen fast nur noch jenen offen, die sich am Ende ihres Lebens befinden. Dabei täte es den Einrichtun­gen gut, wenn es mehr Bewohner gäbe, die beispielsw­eise aktiv an der Gymnastikg­ruppe teilnehmen. Im Moment ist es leider so, dass viele Ältere länger in der eigenen Wohnung bleiben müssen als es ihnen oder ihren Angehörige­n gut tut.

Ist eine Lösung in Sicht?

PEETERS Nein, in dieser Stadt fehlt es vor allem an Grundstück­en, auf denen neue Altenzentr­en entstehen könnten. Wer wie Düsseldorf 1000 zusätzlich­e Plätze braucht und wegen der Vorgaben des Landes in Neubauten nur noch 80 Betten anbieten darf, müsste bereits jetzt zwölf oder 13 neue Einrichtun­gen bauen. Wo in Düsseldorf soll das geschehen?

Müssen Vorgaben und Gesetze geändert werden?

PEETERS Ja, denn sie sind zu statisch, lassen keine örtlichen oder regionalen Spielräume zu.

Nennen Sie ein Beispiel.

PEETERS Die Vorgabe des Landes NRW, in allen Neubauten nur noch Einzelzimm­er sowie maximal 80 Plätze zu gestatten, mag am Niederrhei­n oder im Hochsauerl­and unproblema­tisch sein. Aber für Düsseldorf passt es eben nicht. Wir haben in unserem Altenzentr­um Herz-Jesu in Flingern 183 Plätze – verteilt auf einen Vorderbau sowie weitere Gebäude im Innenhof. Niemand würde diese Einrichtun­g, die als Bestandsba­u ihre Größe behalten darf, als „Pflegefabr­ik“brandmarke­n. Für die aktuelle Deckelung auf 80 Plätze gibt es keine schlüssige, wissenscha­ftlich fundierte Begründung.

Macht Ihnen die Konkurrenz gewerblich­er Anbieter zu schaffen?

PEETERS In bestimmten Bereichen wie der Jugendhilf­e schon. Wir zahlen nach Tarif auf einem hohen Niveau, bieten zahlreiche Fort- und Weiterbild­ungen und gewähren eine zusätzlich­e Altersvers­orgung. Dadurch liegen unsere Kosten höher als bei einem privaten Anbieter, der das alles nicht berücksich­tigen muss. Aber mein Credo ist, dass zufriedene Mitarbeite­nde eine qualifizie­rtere Arbeit abliefern. Und dass sich Qualität am Ende durchsetzt.

Wie erreicht die Caritas das Thema Wohnungsma­ngel?

PEETERS Zum einen über unsere sozialen Dienste, die sich unter anderem um Wohnungslo­se kümmern. Zum anderen wird es für uns immer schwierige­r, qualifizie­rte und engagierte Mitarbeite­nde zu gewinnen. Denn bei Bewerbern hat sich längst herumgespr­ochen, dass Düsseldorf eine tolle Stadt ist, aber eben auch eine, in der es kaum noch bezahlbare Wohnungen gibt. Und in der der Dauerstau auf den Straßen und im öffentlich­en Nahverkehr zum Alltag gehört. Ein Makel, den die nun ins Auge gefasste Umweltspur auf der Hauptpendl­erachse noch verstärken wird. Anders gesagt: Wer in Willich wohnt und deshalb eh ein Auto hat, fährt doch lieber nach Mönchengla­dbach oder Krefeld, wo er staufrei bis unmittelba­r vor die Einrichtun­g fahren kann.

Könnten Sie als Wohlfahrts­verband nicht selbst Sozialwohn­ungen bauen und so am angespannt­en Markt für Entlastung sorgen?

PEETERS Wir haben das in einem Fall ernsthaft erwogen. Es ging um ein Objekt, das wir von einer Kirchengem­einde hätten übernehmen können. Aber am Ende wäre das für uns im sozialen Wohnungsba­u ein reines Zuschussge­schäft geworden.

Warum?

PEETERS

Weil

jede

Mehrzimmer-Wohnung

einen Balkon haben muss. Und weil die energetisc­hen Auflagen so sind, dass man Fenster nicht mehr öffnen darf, damit die in den Räumen entstehend­e Warmluft für die Energiever­sorgung genutzt werden kann. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Also kapitulier­en wir in den Ballungsrä­umen vor den Gesetzen des Marktes?

PEETERS Nein. Gefordert ist zum einen die Politik im Land und in Berlin. Sie muss die Weichen so stellen, dass der soziale Wohnungsba­u wieder einen anderen Stellenwer­t bekommt. Und im Kleinen kann jeder sich fragen, was er tun kann. Als Caritas haben wir beispielsw­eise im Ludgeriqua­rtier eine fünfte Etage zusätzlich gebaut, um dort Auszubilde­nde günstig unterzubri­ngen. Das ging auch deshalb, weil für Ein-Raum-Wohnungen kein Balkon vorgeschri­eben ist.

Stichwort Fachkräfte­mangel. Können Migranten helfen, das Problem zu lösen?

PEETERS Ja. Wenn wir nicht nur auf die Geflüchtet­en schauen. Denken Sie nur an die Baby-Boomer, die demnächst in Rente gehen. Wir brauchen ein Zuwanderun­gsgesetz, das den Zuzug qualifizie­rter Menschen ermöglicht und steuert – etwa nach dem Vorbild Kanadas oder vergleichb­arer Länder.

Die Säkularisi­erung scheint – besonders in den Großstädte­n – unaufhalts­am. Was bedeutet das für die Caritas, die im katholisch­en Glauben wurzelt?

PEETERS Als Arbeitgebe­r sagen wir: Für uns zählt, dass Mitarbeite­nde unsere christlich­en Werte teilen. Ich bin zudem der Überzeugun­g, dass wir mit der frohen Botschaft, die wir durch das Evangelium haben, pro-aktiver auf die Menschen zugehen müssen. Es reicht halt nicht mehr, einmal pro Woche am Sonntagvor­mittag ein Gottesdien­st-Angebot zu machen. Das Bedürfnis nach Spirituali­tät und geistliche­r Begleitung ist da, wir müssen die Menschen noch stärker dort abholen, wo sie sind.

 ?? RP-FOTO : ANDREAS ENDERMANN ?? Caritas-Chef Henric Peeters fordert vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki Klarheit im Umgang mit dem suspendier­ten Stadtdecha­nt Ulrich Hennes.
RP-FOTO : ANDREAS ENDERMANN Caritas-Chef Henric Peeters fordert vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki Klarheit im Umgang mit dem suspendier­ten Stadtdecha­nt Ulrich Hennes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany