Rheinische Post Mettmann

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Als Sie zu mir kamen, habe ich große Hoffnungen in Sie gesetzt. Ihr Enthusiasm­us, ihre glühende Leidenscha­ft hat mich überzeugt. Denn eigentlich hatte ich gar keine Pläne, einen Assistente­n einzustell­en.“

„Danke, Herr Professor. Ihre Worte sind sehr schmeichel­haft.“

Er richtete sich noch weiter auf, saß nun so gerade, als sei er selbst ein Schüler, und warf mir einen kurzen Blick zu. „Aber dann… passierte irgendetwa­s mit Ihnen?“Ich spürte ein Engegefühl in der Brust. Eine Frage. Es war eine Frage. Was sollte ich darauf antworten?

„War es womöglich schon um Sie geschehen, als Sie Ihre Ausführung­en über Swammerdam zum Besten gaben?“Wieder schielte er kurz zu mir herüber, und sein sonst so fester Blick flackerte.

„Swammerdam? Aber das ist doch schon so lange her“, stammelte ich.

„Ja. Genau. So lange her… Und es war der Tag, an dem Sie sie kennenlern­ten?“

„Meinen Sie… meine Frau?“Sein Schweigen bestätigte meine Vermutung. Ja, ich hatte Thilda dort kennengele­rnt, nach dem Vortrag. Oder besser gesagt, die Umstände hatten mich zu ihr geführt. Wobei, nein, nicht die Umstände… Rahm hatte mich zu ihr geführt. Es war sein Lachen gewesen, sein Hohn, der meinen Blick in eine andere Richtung gelenkt hatte, ihre Richtung.

Ich hätte gern etwas dazu gesagt, doch ich fand keine Worte. Als ich nichts weiter sagte, beugte er sich rasch nach vorn und räusperte sich leise.

„Und jetzt?“

„Jetzt?“

„Warum haben Sie eigentlich Kinder

in die Welt gesetzt?“

Bei dieser Frage war seine Stimme lauter geworden und hatte sich beinahe überschlag­en, und jetzt starrte er mich an, wich meinem Blick nicht mehr aus, in seinem Inneren hatte sich Frost gebildet.

„Warum …?“Ich sah weg, konnte seinen Blick nicht ertragen, die Härte darin. „Na ja, weil man das eben so macht…“

Er legte die Hände auf die Knie, verzagt und fordernd zugleich. „Weil man das eben so macht? Tja, vielleicht macht man das so. Aber warum Sie? Was geben Sie Ihren Kindern?“

„Was ich Ihnen gebe? Essen, Kleidung…“

Wieder hob er jäh seine Stimme: „Jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit Ihrem erbärmlich­en Saatguthan­del!“

Er ließ sich wieder nach hinten fallen, als wollte er Abstand zu mir gewinnen, und knetete seine Hände.

„Nein …“Ich fühlte mich wie ein Zehnjährig­er, den man ungerecht behandelt hatte, und versuchte ruhig zu bleiben, merkte jedoch, wie ich zitterte. Als ich mich endlich zusammenna­hm, um etwas zu sagen, war meine Stimme hoch und gepresst. „Ich wollte es so gern. Aber die Sache war die… wie der Herr Professor sicher verstehen wird… hat die Zeit einfach nicht ausgereich­t.“

„Was soll ich Ihrer Meinung nach dazu sagen? Dass es vollkommen akzeptabel ist?“Er stand auf. „Soll ich akzeptiere­n, dass Sie den Ansprüchen nicht genügen?“Er blieb vor mir stehen, kam einen Schritt näher, schien vor mir zu wachsen, wurde groß und dunkel. „Soll ich akzeptiere­n, dass Sie bis heute keinen einzigen wissenscha­ftlichen Aufsatz zu Ende geschriebe­n haben? Dass Ihre Regale voll ungelesene­r Bücher sind? Dass ich so viel Zeit auf Sie verwendet habe und Sie in diesem Leben dennoch nicht mehr geleistet haben als ein fauler Eber?“

Die letzten Wörter blieben in der Luft hängen und vibrierten.

Ein Eber. So sah er mich also. Als faulen Eber.

In mir keimte ein schwacher Protest auf. Hatte er tatsächlic­h so viel Zeit auf mich verwendet, oder war ich in erster Linie ein Handlanger für seine eigenen Projekte gewesen? Denn vielleicht hatte er in Wahrheit das gewollt, vielleicht hatte ich seine Forschung erben und sie am Leben halten sollen. Ihn am Leben halten. Das sprach ich jedoch nicht aus.

„Das wollen Sie doch hören, nicht wahr?“, sagte er, mit einem Blick, so kalt wie der der Amphibien, die uns aus den Glasbehält­ern anglotzten. „Dass das Leben nun mal so ist? So ist das Leben, soll ich sagen, man tut sich zusammen, zeugt Nachkommen, setzt deren Bedürfniss­e automatisc­h an die erste Stelle, die Nachkommen sind Münder, die es zu stopfen gilt, man wird zum Versorger, und der Intellekt weicht der Natur. Das ist nicht Ihre Schuld. Und noch ist es nicht zu spät.“Er starrte mich so eindringli­ch an, dass es schmerzte. „Wollen Sie das hören? Dass es noch nicht zu spät ist? Dass Ihre Zeit noch kommen wird?“

Dann lachte er plötzlich auf. Dieses jähe, harte Lachen, freudlos, aber voller Hohn. Es war kurz, aber es setzte sich in mir fest. Es war dasselbe Lachen wie bei unserer letzten Begegnung.

Er verstummte, wartete jedoch nicht auf meine Antwort, wahrschein­lich wusste er, dass ich kein Wort mehr über die Lippen bringen würde. Er ging einfach zur Tür und öffnete sie. „Nun muss ich Sie leider bitten zu gehen. Ich habe noch zu tun.“

Er wandte sich ab, ohne sich von mir zu verabschie­den, und ließ mich von der Haushaltsh­ilfe zur Tür begleiten. Ich kehrte zu meinen Büchern zurück, zog jedoch keines aus dem Regal. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft, sie anzusehen, sondern verkroch mich einfach nur ins Bett und blieb dort, blieb hier, während die Bücher Staub ansetzten… All diese Texte, die ich einmal hatte lesen und verstehen wollen.

Sie standen noch immer am selben Platz, ohne System, bei einigen ragten die Rücken weiter aus dem Regal als bei anderen, wie eine schiefe Zahnreihe. Ich drehte mich weg, ertrug ihren Anblick nicht. Charlotte hob den Kopf, als sie merkte, dass ich wach war, und legte eilig das Buch beiseite. „Hast du Durst?“

Sie stand auf, holte einen Becher Wasser und reichte ihn mir.

Ich wandte mich ab. „Nein.“Ich hörte, wie abweisend meine Stimme klang, und fügte schnell noch ein »Danke« hinzu.

„Möchtest du etwas anderes haben? Der Arzt hat gesagt …“„Nein, nichts.“

Sie setzte sich wieder und betrachtet­e mich eingehend, wie ein Studienobj­ekt.

„Du siehst besser aus. Wacher.“„Sprich keinen Unsinn.“„Doch, das finde ich wirklich.“Sie lächelte. „Und immerhin antwortest du.“

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