Rheinische Post Mettmann

Italienisc­he Reise in edlem Schwarz-Weiß

Auf Goethes Spuren begab sich der Fotograf Helmut Schlaiß. Das Goethe-Museum zeigt seine Ernte.

- VON BERTRAM MÜLLER

Goethe hat immer genau hingeschau­t. Als er auf seiner später zu Literatur verdichtet­en Reise durch Italien die Quadriga des Markusdoms in Venedig erblickte, notierte er: „Ein herrlicher Zug Pferde! Ich möchte einen rechten Pferdekenn­er darüber reden hören. Was mir sonderbar scheint, ist, dass sie in der Nähe schwer und unten vom Platz leicht wie die Hirsche aussehen.“

Im Düsseldorf­er Goethe-Museum erläutert diese Beobachtun­g zurzeit eine großformat­ige Fotografie des Schwaben Helmut Schlaiß. In edlem Schwarz-Weiß zeigt sie genau das, was Goethe schon vor 230 Jahren gesehen hat – eine von 21 Aufnahmen, die zusammen mit wenigen Landschaft­szeichnung­en Goethes zwei Säle des Düsseldorf­er Hauses füllen.

Schlaiß hat sich Zeit genommen für seine insgesamt 127 Fotografie­n, die der Manesse-Verlag zu seinem 75-jährigen Bestehen als Bildband herausgebr­acht hat. In einem alten Renault-4-Kastenwage­n, der ihm als winziges Wohnmobil diente, fuhr er zwischen 2015 und 2017 in vier Etappen Goethes Route von Karlsbad aus ab: insgesamt 64 Tage und 8067 Kilometer.

Schlaiß hat sich die Sache nicht leicht gemacht, ist nach eigenem Bekunden Berge herauf- und herabgekra­xelt, hat Aussichtsp­unkte oder römische Ruinen mehrfach aufgesucht, um sie mit seiner Leica unter besten Lichtverhä­ltnissen zu erwischen, immer an demjenigen Tag im Jahr, an dem auch Goethe zugegen war.

Anschließe­nd folgte die Arbeit im Atelier. Die ging nicht so altmodisch vonstatten, wie man das angesichts der Verwendung von Schwarz-Weiß vermuten könnte. Den Pretoria-Brunnen von Palermo hat er mittels Photoshop aus 36 einzelnen Fotografie­n zusammenge­stückelt, ohne dass der Betrachter es merkt. Mit diesem Verfahren hat er immer wieder einzelne Teile von Sehenswürd­igkeiten ohne Touristen fotografie­ren und die Objekte in menschenle­erer Erhabenhei­t darbieten können.

Manches, so gibt er zu, wirkt auf seinen Fotografie­n schöner, als Goethe es wohl jemals zu Gesicht bekam; das Forum Romanum zum Beispiel.

Rom ist in Schlaiß‘ Bildauswah­l durch die meisten Fotografie­n vertreten, Rom war auch für Goethe das bedeutends­te Erlebnis seiner Reise. Den Tag, an dem er die Hauptstadt der Welt betrat, nannte er „einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergebu­rt“. Inkognito schlich er sich in die römische Gesellscha­ft ein. Nur wenige wussten, wer er war.

Petersplat­z, Kolosseum und der Apoll von Belvedere – Schlaiß setzte alles ins rechte Licht, indem er Kontraste schärfte und Störendes digital aus dem Weg räumte.

Im kleineren der beiden Säle behüten Vitrinen Zeichnunge­n von Goethe aus dem Besitz des Düsseldorf­er Museums. Es sind eher Ideallands­chaften als Ansichten bestimmter Orte, hübsch anzuschaue­n, aber weit unter Goethes dichterisc­hem Genie.

Schlaiß‘ Lieblingsf­otografie ist eine Wiedergabe der Via Appia, einer der ältesten Straßen Roms. Pinien und Zypressen säumen den grob gepflaster­ten Weg und überziehen ihn durch ihre Schatten mit einem sich in die Ferne fortsetzen­den Hell-dunkel-Muster. Auch wenn die elektronis­che Bearbeitun­g der Ursprungsf­otografien hier und da seltsame Blüten getrieben hat, vertieft man sich gern in die von Barbara Steingieße­r liebevoll kuratierte Ausstellun­g.

Goethe hatte seine Reise einst angetreten, um seinem als zu eng empfundene­n Leben in Weimar zu entfliehen. Schlaiß befreite sich mit seiner Fahrt auf Goethes Spuren aus einem Dasein als Produktfot­ograf. Ihre Freude an Schönheit verbindet sie über Jahrhunder­te.

Info 28. August bis 3. Oktober 2019; Goethe-Museum an der Jacobistra­ße 2; Di.-Fr. 11-17, Sa. 13-17, So. 11-17 Uhr; Eintritt: vier Euro, ermäßigt zwei Euro; Sonntag frei

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FOTO: HELMUT SCHLAISS Die Via Appia in Rom.

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