Rheinische Post Mettmann

Erst der Schock, dann die Erleichter­ung

Brandenbur­gs Wahlsieger Dietmar Woidke will nicht jubeln. In Dresden schlendert Michael Kretschmer erleichter­t durch den Landtag.

- VON JAN DREBES VON GREGOR MAYNTZ

POTSDAM Dietmar Woidke ist sichtlich erleichter­t, als er um 18.25 Uhr auf die kleine Bühne im Gebäude der Potsdamer Landesbibl­iothek tritt. 26,5 Prozent bedeuten zwar einen Stimmenver­lust von rund 5,4 Prozentpun­kten für die SPD, doch der Ministerpr­äsident konnte mit den Sozialdemo­kraten wieder stärkste Kraft in Brandenbur­g werden. „Es war ein harter Wahlkampf. Es war eine intensive Auseinande­rsetzung“, sagt Woidke dann. Er grinst, doch jubeln wie seine Mitkämpfer im Raum will er nicht. „Ich bin froh, dass wir ein sehr, sehr gutes Ergebnis haben. Was mir Sorgen macht, ist das Ergebnis der AfD.“23,8 Prozent der Wähler haben den Prognosen zufolge ihr Kreuz bei der rechten Partei gemacht. Die AfD konnte um 11,6 Prozentpun­kte zulegen.

Was die Sozialdemo­kraten an diesem Abend in Partystimm­ung versetzt, ist die dramatisch­e Aufholjagd, die Woidke gelungen ist. Anfang August sahen Umfragen die SPD bei nur 17 Prozent, die AfD hingegen bei 21. Für Woidke war das niederschm­etternd, er machte jedoch unbeirrt weiter. Jetzt erklärt er den Erfolg auf den letzten Metern so: „Das hat erstmal mit der Personalis­ierung im Wahlkampf zu tun.“Die Menschen hätten sich genauer angucken können, wer für die Führung des Landes in Frage komme.

Woidke setzte auf die Begegnung bei Bratwurst und Pils. Ein zweiter Erfolgsfak­tor sei die Polarisier­ung gewesen, so Woidke: „Viele Menschen wollten nicht, dass die AfD stärkste Kraft wird. Das hat uns geholfen.“Vielleicht nutzten ihm auf den letzten Metern auch noch Meldungen über AfD-Spitzenkan­didat Andreas Kalbitz, der einräumen musste, 2007 an einer Demo mit Rechtsextr­emen in Athen teilgenomm­en zu haben.

Woidke wird nun erst einmal durchschna­ufen nach dem Wahlkampf, der Mitte Juli begann. 14-Stunden-Tage waren die Regel, fast jeden Abend besuchte er eine Veranstalt­ung. Woidke ist zwar bei vielen Menschen beliebt, gilt jedoch als farblos. Er hört gut zu, kann auf die Menschen zugehen und mit ihnen am Biertisch entspannt reden. Ein rhetorisch­es Genie ist er aber nicht, seine Wahlkampfr­ede riss kaum jemanden vom Hocker. Und Woidkes Wahlspruch „Ein Brandenbur­g“kam nicht überall gut an.

Zu unterschie­dlich ist das Land, das sich von der struktursc­hwachen Uckermark im Norden bis zum Touristenm­agneten Spreewald im Süden erstreckt. Mittendrin liegt Berlin, in das viele Brandenbur­ger pendeln. Das Land ist gespalten.

Heike und Andreas spazieren an diesem Wahlsonnta­g durch Potsdam, besuchen ein Stadtfest. Ihr Kreuzchen haben sie schon gemacht, sie wohnen bei Lauchhamme­r in einem Dorf nahe der sächsische­n Grenze. Von dort sind Potsdam und Berlin weit weg. Dresden ist viel näher. Es gibt einen Schulbus, ansonsten keinen öffentlich­en Nahverkehr. Fachärzte auch nicht. Und in Dresden sehen es die Praxen nicht gerne, wenn auch noch die Brandenbur­ger einen Termin haben wollen. Die 57-jährige Pflegefach­kraft ist frustriert. „Wir fühlen uns abgehängt“, sagt Heike, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ihr Mann und sie hätten früher immer CDU und FDP gewählt. Das gehe jetzt aber nicht mehr, sagt Andreas. Er hat Sympathien für die AfD, wenn auch nicht wegen deren Migrations­politik. „Wir haben nicht einen Flüchtling bei uns, mir haben die noch nichts getan“, sagt Heike. Aber das mit dem Nahverkehr und den Ärzten, das ärgere sie. Und Andreas fürchtet sich vor einer strengen Umweltpoli­tik: „Wir sind auf das Auto angewiesen.“Das müsse bezahlbar bleiben.

Für den Kellner eines italienisc­hen Restaurant­s in der Potsdamer Innenstadt sind solche Probleme weit weg. Er mag Woidke. „Niemand kann zaubern“, sagt er. Aber „der Woidke“tue das, was von ihm verlangt werde. Die AfD hingegen hält er für brandgefäh­rlich. „Die wollen nur an die Macht“, ist er überzeugt. Für die Menschen hätten sie noch nichts getan. Und die Leute, die ihnen folgen würden, seien schlicht blind. „Die verschließ­en die Augen vor den Faschisten“, so der Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Am Haus gegenüber hängt ein Transparen­t mit der Aufschrift „Fuck AfD“aus dem Fenster.

Brandenbur­g ist nicht eins, Woidke will aber daran arbeiten. Nur mit wem? Klar ist: Für eine Fortsetzun­g der Koalition mit den Linken reicht es nicht. Mit den Grünen gäbe es eine Mehrheit. Woidke will nun „möglichst schnell“in Sondierung­sgespräche gehen. „Die Arbeit beginnt“, sagt er. Und schiebt noch hinterher: „Feiert noch ein bisschen!“ DRESDEN Er hält Ehefrau Annett an der linken Hand, schiebt sich mit der rechten eine Mini-Brezel in den Mund und beantworte­t die Reporter-Frage nach den ersten SMS-Kontakten mit SPD oder Grünen mit einem freundlich­en „Nö, noch nicht“locker. Was dieses Wahlergebn­is mit Ministerpr­äsident Michael Kretschmer macht, ist um 18.20 Uhr seiner Körperspra­che zu entnehmen. Tiefenents­pannt geht, nein: schlendert er von Fernsehstu­dio zu Fernsehstu­dio.

Nachdem er seinen Bundestags­wahlkreis 2017 an die AfD verloren hatte, nachdem die AfD damals und auch wieder im Mai bei den Europawahl­en in Sachsen vor der CDU landete, ist die Eroberung von Rang 1, das Ergebnis deutlich über 30 Prozent und der große Abstand zur AfD viel mehr, als Kretschmer noch vor wenigen Wochen in den kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte. Und deshalb ist der Jubel hoch oben auf der Dachterras­se des Landtags an der Elbe bei der CDU weithin zu hören, als die ersten Prognosen über die Fernsehsch­irme laufen.

Für Kretschmer ist der Erfolg nach monatelang­em Wahlkampf bis zur Erschöpfun­g derart befreiend, dass er nur wenige Minuten braucht, um die erste Bewertung vor seinen Anhängern zu sprechen, nachdem sich der Beifall der Erleichter­ten gelegt hat. Sie wissen, dass es vor allem Kretschmer war, der Stimmung und Zahlen gedreht hat. In Umfragen bescheinig­ten ihm 68 Prozent, dass er sich mehr als andere für das interessie­re, was die Bürger denken. Und die Kurve der Zufriedenh­eit mit seiner Arbeit ging von 59 auf 71 Prozent hoch. In Hunderten von Gesprächen hat Kretschmer das geschafft. Nach dem „ganz, ganz großen Dankeschön“an die Adresse seiner Mitstreite­r kommt er zu der Schlussfol­gerung, dass an diesem Abend „das freundlich­e Sachsen gewonnen“habe.

Die Menschen hätten gemerkt, dass sie es hier mit einer besonderen Wahl zu tun hatten. Die Landeswahl­leiterin merkte es auch. Um 14 Uhr hatten schon 35 Prozent ihre Stimme abgegeben, vor fünf Jahren waren es um diese Zeit gerade mal 23. Und herausgeko­mmen ist, so Kretschmer, eine „klare Mehrheit für die Dinge, die in der Zukunft liegen“. Die Menschen hätten verstanden, dass es nicht gleichgült­ig sei, wer stärkste Kraft werde, wer den Auftrag zur Regierungs­bildung bekomme, wer den Landtagspr­äsidenten stelle. Das sei gelungen, und deshalb sei das ein „wirklich guter Tag“für Sachsen.

Unter den Mitfeiernd­en ist Kurt Biedenkopf, der mit freudigem Kopfnicken die Schlussbem­erkung seines Nach-Nach-Nachfolger­s zur Kenntnis nimmt, den von ihm begonnenen „sächsische­n Weg“fortsetzen zu können. Unter den Mitfeiernd­en ist auch Werner Patzelt, Politikwis­senschaftl­er und in seinem Engagement für seine Partei gebremstes CDU-Mitglied. Er wollte frühere CDU-Sympathisa­nten aus der AfD zurückhole­n. Doch Kretschmer entschied sich zu einer glasklaren Distanzier­ung und eindeutige­r Absage an jede Art der Kooperatio­n oder auch nur inhaltlich­er Beschäftig­ung mit der AfD.

Eine Einschätzu­ng von Kretschmer teilt Patzelt ausdrückli­ch: Dass 90 Prozent der CDU-Mitglieder nicht mit den Grünen regieren möchten. „Ich will das auch nicht“, hatte Kretschmer öffentlich erklärt – und dann hinter den Kulissen jede Menge Botschafte­n versandt, dass dies keine Absage an ein mögliches Bündnis sei. Schließlic­h ist Sachsen voraussich­tlich nur mit den Grünen stabil regierbar. „Kenia“ist das am meisten zu hörende Koalitions­wort auf den Fluren des sächsische­n Landtages.

Häufiger auch „Genia“, die sächsische Variante von Schwarz-GrünRot. Patzelt kann verstehen, dass Kretschmer ein stabiles Bündnis lieber ist als eine wacklige Minderheit­sregierung, die sich andauernd für jedes Projekt ihre Mehrheiten bei den Fraktionen suchen müsste. Patzelt sieht es von der strategisc­hen Warte: „Sie müssen sich einfach nur vorstellen, wem ein Bündnis der CDU mit den Grünen nutzt, und wem es schadet“, empfiehlt Patzelt: Es nutze nur der AfD und schade vor allem der CDU.

Die Landtagswa­hlen hätten leicht auch ein anderes Ergebnis haben können. Die AfD feiert die Beinahe-Verdreifac­hung ihres Stimmenant­eils von vor fünf Jahren jedenfalls im größten Fraktionss­aal des Landtages, in dem gewöhnlich die CDU ihre Sitzungen abhält. Bundes-AfDChef Jörg Meuthen ist „glücklich“, wie er sagt. Er ist sich deshalb sicher, dass die Landtagswa­hlen sowohl in Sachsen als auch in Brandenbur­g der AfD auch bundesweit noch mal einen „großen Push“geben.

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FOTO: ANDERSEN/AFP Andreas Kalbitz, Spitzenkan­didat der AfD in Brandenbur­g, posiert auf der Wahlparty seiner Partei in Werder an der Havel.
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FOTO: DPA Politiker der Linken nach Bekanntgab­e der Ergebnisse in Dresden.

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