Kommissarin fordert Strafrecht für Lehrer
Die Düsseldorfer Polizistin Petra Reichling kritisiert den Umgang von Schulen mit Gewalt und Mobbing. Den jungen Tätern würden zu wenig Grenzen gesetzt und kaum Konsequenzen gezeigt. Sie sieht die Pädagogen in der Pflicht.
Am Dienstag steht ein 18-Jähriger vor dem Jugendrichter. Ihm wird „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“vorgeworfen. Im November soll er in seiner Schulklasse gesessen und für alle vernehmlich erklärt haben: „Ey Alter, ich steche alle Lehrer ab.“Wenig später stand die Polizei auf dem Schulhof.
Richtig so, sagt Petra Reichling, die als Kriminalpolizistin jahrelang unter anderem im Bereich Sexualdelikte ermittelt hat. „Aber immer noch die Ausnahme.“Viel zu selten würden Lehrer und Schulleiter Straftaten melden. Die Gründe dafür sind vielschichtig. „Dass sie sich selbst strafbar machen, wenn sie die Androhung eines Verbrechens nicht anzeigen, wissen viele Lehrer nicht“, sagt Reichling.
In ihrem Buch „Tatort Schulhof – warum Schulen kein geschützter Raum mehr für unsere Kinder sind“, beschreibt die Polizistin Situationen, die sich Außenstehende an Düsseldorfer Schulen kaum vorstellen können. Wie den Fall der Lehrerin, die von einem Schüler mit einem Stuhl geschlagen wurde. Als Reichling bei einem Workshop die Teilnehmer fragte, wer schon einmal Opfer einer Straftat gewesen sei, hatte sich die Frau nicht gemeldet. Als sie später von dem Angriff berichtete, „war sie total erstaunt, als ich ihr erklärte, dass das eine gefährliche Körperverletzung, also eine qualifizierte Sraftat ist.“
Lehrer sollten im Studium auch die Grundlagen des Strafrechts lernen, sagt Reichling. „Es ist doch ein völlig falsches Signal für den Schüler, dass er mit einem Stuhl zuschlagen kann, ohne Konsequenzen zu erfahren.“Und nicht nur der Täter empfängt die falsche Botschaft, sondern auch die Mitschüler, vor allem die, die selbst unter der Aggressivität des Täters leiden.
Die Opfer, vor allem, wenn es um die Schulstraftat Nummer 1, das Mobbing, geht, würden häufig nicht ernst genommen, sagt Reichling. Und wenn Schulen das Problem erkennen, bestehe die Lösung meist darin, dem Opfer einen Schulwechsel nahezulegen. „Das kann nicht sein“, sagt die Autorin Reichling, die nicht nur auf ihre Berufserfahrung, sondern auch auf die Auswertung anonymisierter Fragebögen von Schülern zurückgreift.
Zwar gibt es einen Ministererlass, nach dem Schulen verpflichtet sind, Verbrechenstatbestände der Polizei zu melden. Aber gerade Mobbing ist kein Verbrechen, sondern setzt sich meist aus einer Reihe von – juristisch geringfügigeren – Vergehen zusammen, für die laut Erlass schulinterne Konsequenzen ausreichen. Doch die blieben viel zu häufig aus, so Reichling: „Dabei sind die permanente Beleidigung per Whatsapp, die tägliche Ohrfeige auf dem Schulweg, extrem belastende Erfahrungen, die schlimme Folgen haben können.“
Die Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde verlässt sich ganz auf die Praxis der Schulen. Zahlen über Gewalt- und andere Straftaten an Schulen lägen der Behörde nicht vor, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Die Schulen verfügten über eigene Konzepte zum Umgang mit Gewaltdelikten und würden „bei der Durchführung von Ordnungsmaßnahmen durch die Schulaufsicht beraten“. Präventiv sind in Düsseldorf auch Bezirksbeamte der Polizei in den Schulen unterwegs, sprechen über Themen wie Mobbing oder das sogenannte Abzocken, das juristisch ein handfester Raub ist.
Nach Reichlings Erfahrung werden aber auch solche Taten oft nicht angezeigt, weil Schulen um ihr Image fürchten. Und wenn doch, dann nicht mit der nötigen Konsequenz. „Wir wurden einmal zu einer Schule gerufen, in der gedealt wurde. Als wir den Dealer dann festnahmen, waren die Lehrer entsetzt. Die hatten sich das so vorgestellt, dass wir die Schüler ein bisschen ermahnen. Sonst nichts.“
Reichling weiß, dass sich Lehrer oft in einem Loyalitätskonflikt befänden und davor zurückschreckten, gegen einen ihnen anvertrauten Schüler ein Strafverfahren in Gang zu bringen. Dafür hat die Kriminalbeamtin nur bedingt Verständnis. Denn auch den Opfern gegenüber müssten die Lehrer Loyalität zeigen. „Vielen Lehrern ist gar nicht klar, dass sie gegenüber den Schülern eine Garantenstellung haben, die sie dazu verpflichtet, die Kinder zu schützen.“Auch das, müsse Pädagogen in der Ausbildung klargemacht werden.
Konsequenz und Verantwortung müssen Kinder schon zu Hause lernen, findet die Autorin.
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