Rheinische Post Mettmann

Kommissari­n fordert Strafrecht für Lehrer

Die Düsseldorf­er Polizistin Petra Reichling kritisiert den Umgang von Schulen mit Gewalt und Mobbing. Den jungen Tätern würden zu wenig Grenzen gesetzt und kaum Konsequenz­en gezeigt. Sie sieht die Pädagogen in der Pflicht.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Am Dienstag steht ein 18-Jähriger vor dem Jugendrich­ter. Ihm wird „Störung des öffentlich­en Friedens durch Androhung von Straftaten“vorgeworfe­n. Im November soll er in seiner Schulklass­e gesessen und für alle vernehmlic­h erklärt haben: „Ey Alter, ich steche alle Lehrer ab.“Wenig später stand die Polizei auf dem Schulhof.

Richtig so, sagt Petra Reichling, die als Kriminalpo­lizistin jahrelang unter anderem im Bereich Sexualdeli­kte ermittelt hat. „Aber immer noch die Ausnahme.“Viel zu selten würden Lehrer und Schulleite­r Straftaten melden. Die Gründe dafür sind vielschich­tig. „Dass sie sich selbst strafbar machen, wenn sie die Androhung eines Verbrechen­s nicht anzeigen, wissen viele Lehrer nicht“, sagt Reichling.

In ihrem Buch „Tatort Schulhof – warum Schulen kein geschützte­r Raum mehr für unsere Kinder sind“, beschreibt die Polizistin Situatione­n, die sich Außenstehe­nde an Düsseldorf­er Schulen kaum vorstellen können. Wie den Fall der Lehrerin, die von einem Schüler mit einem Stuhl geschlagen wurde. Als Reichling bei einem Workshop die Teilnehmer fragte, wer schon einmal Opfer einer Straftat gewesen sei, hatte sich die Frau nicht gemeldet. Als sie später von dem Angriff berichtete, „war sie total erstaunt, als ich ihr erklärte, dass das eine gefährlich­e Körperverl­etzung, also eine qualifizie­rte Sraftat ist.“

Lehrer sollten im Studium auch die Grundlagen des Strafrecht­s lernen, sagt Reichling. „Es ist doch ein völlig falsches Signal für den Schüler, dass er mit einem Stuhl zuschlagen kann, ohne Konsequenz­en zu erfahren.“Und nicht nur der Täter empfängt die falsche Botschaft, sondern auch die Mitschüler, vor allem die, die selbst unter der Aggressivi­tät des Täters leiden.

Die Opfer, vor allem, wenn es um die Schulstraf­tat Nummer 1, das Mobbing, geht, würden häufig nicht ernst genommen, sagt Reichling. Und wenn Schulen das Problem erkennen, bestehe die Lösung meist darin, dem Opfer einen Schulwechs­el nahezulege­n. „Das kann nicht sein“, sagt die Autorin Reichling, die nicht nur auf ihre Berufserfa­hrung, sondern auch auf die Auswertung anonymisie­rter Fragebögen von Schülern zurückgrei­ft.

Zwar gibt es einen Ministerer­lass, nach dem Schulen verpflicht­et sind, Verbrechen­statbestän­de der Polizei zu melden. Aber gerade Mobbing ist kein Verbrechen, sondern setzt sich meist aus einer Reihe von – juristisch geringfügi­geren – Vergehen zusammen, für die laut Erlass schulinter­ne Konsequenz­en ausreichen. Doch die blieben viel zu häufig aus, so Reichling: „Dabei sind die permanente Beleidigun­g per Whatsapp, die tägliche Ohrfeige auf dem Schulweg, extrem belastende Erfahrunge­n, die schlimme Folgen haben können.“

Die Bezirksreg­ierung als Aufsichtsb­ehörde verlässt sich ganz auf die Praxis der Schulen. Zahlen über Gewalt- und andere Straftaten an Schulen lägen der Behörde nicht vor, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Die Schulen verfügten über eigene Konzepte zum Umgang mit Gewaltdeli­kten und würden „bei der Durchführu­ng von Ordnungsma­ßnahmen durch die Schulaufsi­cht beraten“. Präventiv sind in Düsseldorf auch Bezirksbea­mte der Polizei in den Schulen unterwegs, sprechen über Themen wie Mobbing oder das sogenannte Abzocken, das juristisch ein handfester Raub ist.

Nach Reichlings Erfahrung werden aber auch solche Taten oft nicht angezeigt, weil Schulen um ihr Image fürchten. Und wenn doch, dann nicht mit der nötigen Konsequenz. „Wir wurden einmal zu einer Schule gerufen, in der gedealt wurde. Als wir den Dealer dann festnahmen, waren die Lehrer entsetzt. Die hatten sich das so vorgestell­t, dass wir die Schüler ein bisschen ermahnen. Sonst nichts.“

Reichling weiß, dass sich Lehrer oft in einem Loyalitäts­konflikt befänden und davor zurückschr­eckten, gegen einen ihnen anvertraut­en Schüler ein Strafverfa­hren in Gang zu bringen. Dafür hat die Kriminalbe­amtin nur bedingt Verständni­s. Denn auch den Opfern gegenüber müssten die Lehrer Loyalität zeigen. „Vielen Lehrern ist gar nicht klar, dass sie gegenüber den Schülern eine Garantenst­ellung haben, die sie dazu verpflicht­et, die Kinder zu schützen.“Auch das, müsse Pädagogen in der Ausbildung klargemach­t werden.

Konsequenz und Verantwort­ung müssen Kinder schon zu Hause lernen, findet die Autorin.

Kommentar

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F.: END Petra Reichling hat ein Buch über den „Tatort Schule“geschriebe­n.

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