CDU und SPD suchen Bürgernähe
Nach den starken Zugewinnen der AfD wollen die Parteien der großen Koalition umsteuern. Mehr Präsenz vor Ort ist die Losung. Die CDU-Chefin rückt eine irritierende Äußerung gerade.
BERLIN Als Lehre aus dem Erstarken der AfD im Osten wollen sich CDU und SPD intensiver direkt vor Ort um die Bürger kümmern. „Wir kämpfen um jeden Wähler. Wir machen für alle Politik, egal ob sie uns ihre Stimme gegeben haben oder nicht“, betonte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag in Berlin. Sie drängte auf eine Entscheidung der großen Koalition zur Einführung der Grundrente vor der Landtagswahl in Thüringen Ende Oktober. Die kommissarische SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig mahnte: „Wir müssen viel vor Ort sein, und wir müssen jetzt liefern.“Die Bundespolitik müsse auf die Ministerpräsidenten – gleich welcher Partei – in Ostdeutschland hören. „Denn wir wissen, wo der Schuh drückt“, sagte Schwesig, die Mecklenburg-Vorpommern regiert.
Der dortige CDU-Fraktionschef, Vincent Kokert, sagte unserer Redaktion: „Die Losung ist: Präsenz, Präsenz, Präsenz.“Aber: Die Wahlkampfauftritte des früheren Verfassungsschutzpräsidenten HansGeorg Maaßen in Sachsen für die ultrakonservative Werte-Union der CDU hätten der Landespartei mehr geschadet als geholfen. „Fast überall, wo er Wahlkampf gemacht hat, hat die CDU ihre Direktmandate verloren.“
Kramp-Karrenbauer rückte ihre irritierende Antwort in einem ARD-Interview gerade, in dem sie auf die Frage, ob die CDU bei der Abgrenzung Richtung AfD bleibe und ein Viertel der Wähler außen vor lassen könne, gesagt hatte: „Ja, wir können.“Das habe sich auf das Nein der CDU zu einer Koalition mit der AfD bezogen, erklärte sie.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und der brandenburgische CDU-Chef Ingo Senftleben müssen sich nun Koalitionsgesprächen mit Parteien und Personen stellen, die sie vor der Wahl abgelehnt hatten. Kretschmer hatte erklärt, er wolle nicht mit den Grünen regieren – eine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen ist nun aber die einzige Variante, nachdem er ein Bündnis mit AfD und Linken und eine Minderheitsregierung ausgeschlossen hat. Er sagte jetzt: „Es gibt eine Zeit vor einer Wahl, und es gibt das Wahlergebnis.“Es gehe um Innovation und Zukunftsgestaltung statt um Verbote und Steuererhöhungen. „Wir werden eine Lösung finden, ich bin dazu bereit.“Grünen-Chef Robert Habeck mahnte, die CDU werde „einige Aussagen kassieren müssen“.
Senftleben, der nicht mit Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) koalieren wollte, sagte: „Man muss in der Lage sein, zwischen Personen Brücken zu bauen.“In Brandenburg ist sowohl eine Kenia-Koalition als auch ein rot-grün-rotes Bündnis möglich. Wie Senftleben sagte Sachsens SPD-Chef Martin Dulig, sie seien zwischen der Partei des Ministerpräsidenten und der AfD zerrieben worden. Viele Wähler hätten sich taktisch entschieden, um einen noch größeren Rechtsruck zu verhindern. Mit 7,7 Prozent fuhr die SPD in Sachsen das bundesweit schlechteste Ergebnis jemals ein. Die Linke in Sachsen rutschte auf ihr schlechtestes Ergebnis seit der Wende.
Woidke sagte, dass die SPD doch noch stärkste Kraft werden konnte, liege auch an der „guten Arbeit der große Koalition im Bund“. Schwesig kritisierte aber, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einst angekündigt habe, Behörden oder Forschungseinrichtungen im Osten ansiedeln zu lassen. Die neue Batterieforschungsfabrik gehe jetzt aber nicht nach Thüringen, sondern nach Nordrhein-Westfalen.
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