Rheinische Post Mettmann

Die Linke verabschie­det sich als Volksparte­i des Ostens

Ihre Rolle als Protestpar­tei hat die Linke an die AfD verloren. Zugleich bröckeln die klassische­n Milieus der SED-Nachfolgep­artei.

- VON MARTIN KESSLER

DRESDEN/POTSDAM Einst war die Linksparte­i für Demokraten ein Ärgernis. Sie erbte das Vermögen der SED, verharmlos­te in Teilen die Diktatur der DDR und stellte unfinanzie­rbare Forderunge­n in populistis­cher Manier. Das brachte den SED-Nachfolger­n den Ruf einer Protestpar­tei des Ostens ein. Noch unter dem Namen PDS fuhr die Linke in Sachsen und Brandenbur­g Ergebnisse von 23 beziehungs­weise 28 Prozent ein und stiegen damit zu einer Volksparte­i der neuen Länder auf. Die war verankert in den Milieus der Ex-DDR und spielte erfolgreic­h den Part des Kümmerers für die auch damals angeblich vernachläs­sigten Ost-Bürger.

Diese Rolle hat die Linksparte­i nach den jüngsten Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g verloren. Die Linke kam kaum über zehn Prozent in beiden Ländern hinaus. Als einzige der etablierte­n Parteien verlor sie sowohl in Sachsen als auch in Brandenbur­g massiv an Stimmen – auch an die AfD. Prompt sprach Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch von einem „beispiello­sen Desaster“, die Abgeordnet­e Sevim Dagdelen sieht ihre Partei gar in einer „existenzie­llen Krise“.

Offenbar trifft die ursprüngli­ch im Osten verankerte Linke die Stimmung in Ländern wie Brandenbur­g und Sachsen nicht mehr. „Die AfD bedient die Zukunftsän­gste besser als die Linksparte­i“, meint der Berliner Politikwis­senschaftl­er Nils Diederich dazu.

Gerade zu dem Zeitpunkt, an dem selbst Konservati­ve die Linke als demokratis­che Partei anerkennen, verliert sie ihren Nimbus als Volksparte­i. „Die Linke gehört längst zum politische­n Establishm­ent“, findet auch Politik-Professor Diederich. Nun treffe auch sie der Verlust an Vertrauen. Zwar hat die Linksparte­i schon früher Proteststi­mmen an die AfD verloren. Dafür liefen klassische sozialdemo­kratische Wähler zu ihnen über, die von der SPD und der großen Koalition enttäuscht waren. Diese Gleichung ging bei den Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g nicht mehr auf. Die Linke verlor selbst an die SPD und konnte kaum Nichtwähle­r mobilisier­en.

Erschweren­d kommt für SED-Nachfolger hinzu, dass ihre Milieus in Ostdeutsch­land bröckeln. Die Partei hat nicht mehr die Präsenz früherer Tage bei ihren Wählern. Die Westausdeh­nung hat Kapazitäte­n der Linksparte­i aus dem Osten abgezogen, eine neue politische Mittelschi­cht aus dem Westen hat wichtige Schaltstel­len besetzt. Das führte zu einer Entfremdun­g zwischen Ost-Bürgern und der Linken.

Auch die zahlreiche­n Ost-Rückkehrer können mit den Milieus der Linksparte­i wenig anfangen. Sie pflegen ihren westlichen Lebensstil jetzt im Osten. Und so könnte es, was den Zuspruch der Wähler angeht, in nicht allzu ferner Zukunft keinen Unterschie­d mehr zwischen West- und Ostdeutsch­land geben.

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