Pater Wolfgang verlässt das Gefängnis
30 Jahre lang bot Wolfgang Sieffert (61) Inhaftierten Halt. Dem Dominikanerkonvent bleibt der Düsseldorfer erhalten.
Er wirkt nicht wie einer, der sich fürchtet. Sein Händedruck ist beherzt und lässt ahnen, dass er mit elf Jahren in Gerresheim seine Leidenschaft fürs Ringen im griechisch-römischen Stil entdeckte. Und doch gibt es Momente, in denen der Gefängnis-Seelsorger Angst hatte. Zum Beispiel, als er sich mit einem Mann, der einen Taxi-Fahrer tot getreten hatte, in dessen Zelle einschließen ließ. Die Zelle lag im Hochsicherheitstrakt, drinnen gab es nur eine Turnmatte, weil der Verurteilte immer wieder mit Mobiliar nach Bediensteten geworfen hatte. Die Tür blieb einen Spalt auf, wurde auf Wunsch des Gefangenen jedoch von innen mit einer Kette gesichert. Vier Bedienstete standen auf dem Flur, um im Zweifel eingreifen zu können. Sieffert stellte die erste Frage. Schweigen. Dann hob der Mann den Kopf, grinste und fragte: „Und haben Sie Angst?“Der Dominikaner sagte: „Klar habe ich Angst.“Das Eis war gebrochen, die eigentliche Arbeit konnte beginnen.
Die Geschichte sagt viel aus über den Mann, der im Mai 1990 an die Ulmer Höh’ kam. Als viertes von acht Kindern in Oberbilk geboren, kann der 61-Jährige mit Menschen. Berührungsängste hat er nicht und den rauen Ton hinter Gittern kann er gut parieren. Viele Schicksale hat er begleitet: Menschen, die notorische Diebe waren, Anlagebetrüger, deren bürgerliche Existenz mit Einfamilienhaus und adretter Familie über Nacht zerbrach, Totschläger, Süchtige und auch Menschen, die fast zwei Jahre hinter Gittern saßen, bevor ihre Unschuld doch noch bewiesen wurde.
Gemeinsam mit dem Gefängnisverein kümmerte er sich um Verzweifelte, gleichgültig Gewordene und solche, die fest an eine Chance glaubten. In seiner Arbeit ging es vor allem darum, etwas anzubieten, das Farbtupfer und Anregungen in den grauen Gefängnisalltag bringt. „Sportgruppen, Bibelkreise, PC-Kurse, Auftritte von Bands, darunter waren auch die Toten Hosen, und Theatergruppen – all das hilft, Brücken in ein normales Leben zu bauen“, sagt Sieffert. Zu seinem Arbeitsplatz fuhr er mit dem Rad und in Zivilkleidung. Nur sonntags kam er im weißen Habit.
Und warum hört einer, bei dem der „Knast“(wie er selbst gelegentlich sagt) untrennbar zum Leben gehört, mit 61 Jahren auf? „Die Bürokratie wurde immer belastender. Von dem, was mir wichtig war, konnte ich immer weniger umsetzen“, sagt der langjährige Herausgeber des Gefangenenmagazins „Ulmer Echo“. So habe man Sportangebote oder Gesprächskreise immer wieder absagen müssen, weil es keine JVA-Angestellten gab, die die Gefangenen zu den Gruppenräumen hätten bringen können. „Das Personal wurde knapper, die einzuhaltenden Vorschriften ausführlicher“, sagt Sieffert. Zugleich habe er immer mehr Verantwortung übernommen, ein Gefühl von Überlastung habe sich breit gemacht, meint der Priester, der 1976 sein Abitur am Gymnasium am Poth machte und zwei Jahre später – nach der Verweigerung seines bereits begonnenen Wehrdienstes – dem Orden beitrat.
Und was würde Sieffert am Strafvollzug ändern, wenn er einflussreicher Politiker wäre? „Ich würde abschaffen, dass Menschen, die zu 60 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt werden und diese Summe nicht aufbringen können, im Gefängnis genauso behandelt werden wie ein notorischer Dieb oder Schläger.“Zudem hält er viel vom offenen Vollzug in kleinen Einheiten. „Von den 35 Verurteilten, die früher im alten Gerresheimer Amtsgericht im offenen Vollzug untergebracht waren, ging jeder einer Arbeit nach. Das waren gute Voraussetzungen für eine Wiedereingliederung.“
Jetzt will der Christ mit Charisma erst einmal Abstand gewinnen. Für drei Monate geht er nach Ost-Jerusalem, wird dort in der „Ècole Biblique“(Bibel-Akademie) der Dominikaner leben. Eine Woche vor Weihnachten kommt er wieder nach Düsseldorf. „Am Fest der Familie will ich zu Hause sein.“Der Altstadt, dem Konvent und St. Andreas bleibt er erhalten, der Armenküche auch. „Ich darf in der Heimat bleiben, das ist ein großes Geschenk.“