Rheinische Post Mettmann

Disko-Licht aus der Gartenlaub­e

Das Buch „Das Geschäftsj­ahr 1968/69“erzählt von einem Start-up in der Hippie-Ära.

- VON DOROTHEE KRINGS

Am Anfang hausen sie in einer Hütte mitten in der Stadt, in einer Art Gartenlaub­e in einem Düsseldorf­er Hinterhof: niedrige Decke, Fußbodenge­fälle, pilziger Geruch. Sie leben als provisoris­ches Kollektiv. Im Zentrum zwei ehemalige Journalist­en, die sich bei einem Publizisti­k-Lehrgang kennengele­rnt haben und unbedingt was miteinande­r machen wollen – etwas Großes, Anarchisch­es, etwas, das die Wirklichke­it verändert. Dazu haben sie ein paar Technik-Nerds in die Gartenlaub­e geholt, die bald dieses Ding zusammenlö­ten: einen stählernen Würfel mit silbrigen Drähten und Glasröhrch­en. Unter Strom gesetzt jagt das Würfelchen Blitzlicht­er in Hallen beliebiger Größe. Es zerhackt Raum und Zeit, zerlegt die Bewegung von Tanzenden in eine zuckende Folge von Momenten. Es ist das Jahr 1968, die Zeit ist reif für eine neue Belichtung der Realität. In Düsseldorf wird für für die Tanzwelt das Stroboskop erfunden.

2005 schrieb der Berliner Autor Bernd Cailloux einen Roman über das Jahr 1968, in dem es einmal nicht um Demos, APO, Studentenu­nruhen ging, sondern um den Beginn der Tanz-Ära im Lichtgewit­ter von Stroboskop­anlagen. Und um zwei junge Männer, die mit antikapita­listischem Gestus eine bewusstsei­nserweiter­nde Erfindung unters Volk bringen wollen, dann aber doch ein Unternehme­n gründen und sich ziemlich schnell als Dienstleis­ter wiederfind­en. In kurzer Zeit verdienen die beiden sehr viel Geld und können sich der Wirkung nicht entziehen. Ihrer Freundscha­ft tut das eher nicht gut.

Der Aufstieg der verkifften „Muße-Gesellscha­ft“zum erfolgreic­hen Disotheken­ausstatter, dessen Betreiber bald härtere Drogen konsumiere­n, geschieht in Düsseldorf. Von der Gartenlaub­e zieht das Unternehme­n in ein Wohnhaus, Studenten von der Akademie hängen dort herum. Die ersten Großaufträ­ge werden mit naivem Wagemut aus dem Nichts an Land gezogen. Es ist das Produkt, das alle überzeugt, dieses sagenhafte Blitzgezuc­ke, das alles verändert.

Ähnlich wie das Stroboskop wirft auch dieser Roman ein Schlaglich­t auf die Ära 1968 – und zeigt in knappen, grellen Momenten, was ’68 auch war: das Jahr, in dem idealistis­che Projekte begannen, die von Ehrgeiz, Konkurrenz- und Erfolgsden­ken zersetzt wurden. Schließlic­h sind die Wenigsten Hippies geblieben. Düsseldorf ist der ideale Spielort für so eine Geschichte, denn es geht in „Das Geschäftsj­ahr 1968/69“um avantgardi­stischen Spieltrieb, um Beuys und die Freiheit, sich selbst als Künstler auszurufen, um Exzess und Revolte. Aber es geht auch um Kommerz und unternehme­risches Kalkül, um schnödes Gewinnstre­ben und eine Freundscha­ft, die daran zerbricht. Der Roman beginnt mit dem Wiedersehe­n der Firmengrün­der in den 1980er Jahren. Das Gespräch dreht sich lange um Düsseldorf­er Immobilien und die Gewinne, die man mit der Renovierun­g von Gründerzei­thäusern am Hauptbahnh­of machen kann. Erst dann wird zurückgebl­endet in die Phase, als das Unternehme­n wie ein Jungsstrei­ch begann.

Das Tolle an Cailloux’ Roman ist der abgebrühte Ton. Mit vollendete­r Lakonie wird von Drogentrip­s und Verkaufsto­uren erzählt, von Typen, die sich um die Muße-Gesellscha­ft scharen, profitiere­n wollen vom Erfolg des grellen Zauberwürf­els. Düsseldorf bildet den dezenten Hintergrun­d. Cailloux bietet keine Altstadt-Folklore, keine Beuys-Auftritte, kein Kö-Geätze. Der Autor nutzt das moderne und zugleich kleinstädt­ische Flair der Stadt, um seine Geschichte gedeihen zu lassen. Er hat selbst als Journalist in Düsseldorf gelebt, bevor er Ende der 1970er Jahre über Hamburg nach Berlin ging. An den Rhein hat es ihn nicht wieder zurückgezo­gen, doch ein paar Lichtblitz­e lang ist Düsseldorf in seinem Roman der Ort, an dem man sein will.

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