Die Geschichte der Bienen
Und als der Arzt endlich die Erlaubnis erhielt, ihn mit Antibiotikum zu behandeln, obwohl er eigentlich schon zu alt war für eine so teure Behandlung, war es längst zu spät.
Meine Mutter kam erstaunlich schnell über seinen Tod hinweg. Sie sagte die richtigen Sachen, wirkte optimistisch. Sie sei ja noch jung, konnte sie zum Beispiel sagen, und habe ein langes Leben vor sich. Vielleicht würde sie sogar eines Tages einen neuen Mann kennenlernen.
Doch das waren nur leere Worte. In ihrem Blick war Wind, sie war unmöglich zu erhaschen, flatterte davon wie die Kronblätter, wenn die Blütezeit vorbei war.
Bald schaffte sie es nicht mehr, zur Arbeit auf das Feld zu gehen, und war nur noch zu Hause. Sie war immer schon mager gewesen, jetzt aß sie fast nichts mehr. Sie begann zu schniefen, zu husten, wurde immer kraftloser und erkrankte kurz darauf an einer Lungenentzündung.
Eines Tages öffnete sie nicht die Tür, als ich sie besuchen wollte. Ich klingelte mehrmals, doch nichts geschah. Mit meinem Ersatzschlüssel schloss ich auf.
Die Wohnung war sauber und ordentlich, nur die alten Möbel, die zur festen Einrichtung gehörten, waren noch da. Ihr persönlicher Besitz war komplett verschwunden; das Sofakissen, das sie sich immer in den Rücken schob, der Bonsai, den sie so unermüdlich pflegte, die bestickte Decke, die sie einmal in der Mitte faltete und über ihre Beine breitete, als würde sie dort ganz besonders frieren.
Am selben Nachmittag erfuhr ich, dass man sie nach Norden geschickt hatte. Ihr ginge es gut, versicherte der Gesundheitsbeauftragte des Bezirks
und gab mir den Namen ihres Pflegeheims. Man zeigte mir einen Werbefilm von dort. Alles wirkte hell und schön, große Zimmer, hohe Decken, lächelndes Personal. Doch als ich um die Erlaubnis bat, sie zu besuchen, sagte man mir, ich müsse warten, bis die Blütezeit vorbei sei.
Einige Wochen später erhielt ich die Nachricht, sie sei von uns gegangen.
Von uns gegangen. Diese Worte hatten sie verwendet, als wäre sie aus dem Bett aufgestanden und einfach gegangen. Ich versuchte, mir nicht vorzustellen, wie ihre letzten Tage gewesen waren. Rasselnder Husten, Fieber, Angst und Einsamkeit. So sterben zu müssen.
Aber ich hätte nichts tun können. Kuan sagte das auch. Es gab nichts, was ich hätte tun können. Er sagte es wieder und wieder, und ich sagte es mir selbst.
Bis ich es auch fast glaubte.
William
„Edmund?“
„Guten Tag, Vater.“
Er stand allein an meinem Bett. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er sich schon im Zimmer aufhielt. Er hatte sich verändert, war größer geworden, und die Nase – als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie viel zu groß gewesen. Nasen wachsen bei jungen Menschen bekanntlich gern in ihrem eigenen Tempo, nehmen Reißaus vor dem übrigen Körper, aber jetzt harmonierte sie mit seinem Gesicht, das sich der Nase angepasst hatte. Er war hübsch geworden, eine Schönheit, die immer schon in ihm geschlummert hatte, und elegant, aber ein wenig nachlässig gekleidet. Ein flaschengrüner Schal hing locker um seinen Hals, das Stirnhaar war ein wenig zu lang, was ihm gut stand, doch konnte man ihm nur schwer in die Augen sehen. Noch dazu war er blass. Schlief er nicht genug? Edmund, mein einziger Sohn.
einziger Sohn. Es hatte nicht lange gedauert, bis ich verstanden hatte, dass er ganz und gar ihr gehörte. Seit dem Tag unseres Kennenlernens hatte sie immer wieder angedeutet, dass ihr größter Wunsch ein Junge sei, und als er im Jahr darauf zu uns kam, war ihre Lebensaufgabe erfüllt. Dorothea, Charlotte und die fünf anderen Mädchen waren lediglich seine Schatten. Bis zu einem gewissen Grad konnte ich Thilda verstehen. Meine sieben Töchter bereiteten mir fortwährend Kopfschmerzen. Ihr unablässiges Kreischen, Jauchzen, Heulen, Kichern, Schlurfen, Trampeln, Husten, Schniefen und nicht zuletzt Plappern – wie diese kleinen Mädchen reden konnten, ihr Mundwerk stand keine Sekunde still! –, all diese Geräusche verfolgten mich von morgens bis abends, und nicht nur das, auch nachts waren sie da. Es gab immer ein Kind, das weinte, weil es schlecht geträumt hatte, immer eines, das nur mit einem Nachthemd bekleidet zu uns hereintapste, die langen Unterhosen abgestreift, sodass die nackten Füße auf den kalten Bodendielen platschten, und dann mit irgendeinem Geräusch in unser Bett kletterte, einem bitterlichen Geheule oder einer nahezu aggressiven Forderung danach, sich zwischen uns ins Bett drängen zu dürfen.
Anscheinend konnten sie unmöglich ruhig sein, und deshalb konnte ich unmöglich arbeiten, unmöglich schreiben. Denn ich hatte es wirklich versucht, hatte nicht sofort aufgegeben, wie Rahm glaubte. Es nützte aber nichts. Selbst wenn ich meine Tür mit der klaren Ansage
Thildas
an die ganze Familie schloss, dass Vater jetzt arbeiten müsse und sie Rücksicht nehmen sollten, selbst wenn ich mir ein Tuch um den Kopf band oder Watte in die Ohren stopfte, um dem Lärm zu entfliehen – selbst dann hörte ich sie noch. Es half nichts. Im Laufe der Jahre blieb mir immer weniger Zeit für meine eigene Forschung, und bald war ich nur noch ein einfacher Händler, der schuftete, um diese nimmersatten Mädchenmäuler zu stopfen, sie waren ein Fass ohne Boden. Der aussichtsreiche Naturforscher musste einem abgearbeiteten, alternden Saatguthändler weichen, der müde Füße hatte von den vielen Stunden hinter der Theke und raue Stimmbänder von der ewigen Konversation mit den Kunden, und dessen Finger immer nur das Geld zählten, das doch nie reichte. Und all dies nur wegen des Lärms, den die Mädchen veranstalteten.
Edmund stand vollkommen still, wie festgefroren. Früher war sein Körper wie die See an einer Landzunge gewesen, Winde und Wellen trafen zusammen und kämpften chaotisch und regellos gegeneinander. Seine Unruhe war nicht allein körperlich, sie saß auch in seiner Seele. Sein Inneres gehorchte keinem System. Im einen Moment konnte er sich von seiner besten Seite zeigen und aus reiner Freundlichkeit einen Eimer Wasser holen, nur um ihn im nächsten Moment auf dem Boden auszugießen, weil er, so begründete er es selbst, einen Binnensee erschaffen wollte.